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Publiziert am 10. Mai 2013 von unter:

re:publica 2013 – Weit mehr als nur ein „Blogger-Treff“

Wie erklärt man die re:publica? Ein Blogger-Treff? Eine Social-Media-Konferenz? Oder ist es nur eine „Internet Messe“, von der Moderatorin Anne Geesthuysen im ARD-Morgenmagazin sprach? Irgendwie trifft es zu und dann auch wieder nicht. Die re:publica ist weit mehr als das. Aus der ganzen Welt reisen einmal pro Jahr Unternehmer, Wissenschaftler, Aktivisten, Visionäre und ja, auch Weltverbesserer, nach Berlin. Sie alle eint eine Eigenschaft: ihre Ziele mit Hilfe modernster Kommunikationstechnologie zu erreichen.

Sascha Lobo darf auf keiner re:publica fehlen. Foto: Dennis Knake/QSC

Immer offen für ein Interview: Sascha Lobo darf natürlich auf keiner re:publica fehlen. Foto: Dennis Knake/QSC

Es stimmt schon, die re:publica ist ein bisschen „Nerdistan“. An den drei Konferenztagen tummeln sich auf engstem Raum wohl mehr Smartphones, Tablets und Notebooks als Tina Turner Haare auf dem Kopf hat. Austragungsort ist schon seit Jahren die „STATION Berlin“. 1875 noch als „Dresdener Bahnhof“ für die Bahnstrecke zwischen Berlin und Dresden eröffnet, ist die Station heute ein großflächiges Veranstaltungszentrum mit sieben Hallen am Tempelhofer Ufer, unweit des Potsdamer Platzes.

Man täte der re:pulica aber großes Unrecht, sie nur als Klassentreffen der viel zitierten „Netzgemeinde“ abzutun. Wer ist denn diese Netzgemeinde überhaupt? Klar zwar, dass die Stars der Szene wie Sascha Lobo, vielfach herumgereichter Web-Spezi und Kolumnist bei Spiegel Online, nicht fehlen dürfen. Auch klar, dass die Pläne der Telekom, Internetflatrates zu drosseln, ein heiß diskutiertes Thema darstellten. Doch zu behaupten, die Szene beschäftige sich auf der re:publica vor allem mit sich selbst, täte ihr Unrecht: Die wahre Vielfältigkeit erkennt man anhand des breit gestreuten Themenspektrums: von Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie über Politik, Gesellschaft bis hin zu Ausbildung, Kultur und Medien.

Innovationsmotor Afrika

Schon die Eröffnungs-Keynote von Erik Hersman „Innovating Africa“ bot die perfekte Horizont-Erweiterung: Hersman ist im Sudan aufgewachsen und lebt heute in Kenia. Während der Unruhen 2008 gründete er zusammen mit anderen die Non-Profit-Organisation „Ushahidi“ (Suaheli für „Zeugnis, Augenzeuge“). Per Handy konnte damals jeder, der kriminelle Handlungen beobachtete, eine Kurzbeschreibung des Vorfalls und die Koordinaten an die Ushahidi-Webseite übermitteln. Dort wurden alle Reports auf einer grafisch überschaubaren Landkarte aufgelistet. So entstand eine bislang nie dagewesene öffentliche Plattform, die in Echtzeit die Unruhen in Kenia auf einzigartige Art und Weise dokumentierte.

Hersmanns Botschaft: If it works in Africa, it will work anywhere. Foto: Dennis Knake/QSC

„Innovating Africa“ mit der Botschaft: If it works in Africa, it will work anywhere. Foto: Dennis Knake/QSC

Heute entwickelt Hersman Technologie, die sich besonders im Einsatz in Afrika eignet. Sein aktuelles Projekt ist „BRCK“ (sprich „Brick“, Stein), ein batteriegepufferter Internet-Router, der via Mobilfunkanschluss auch dann für eine Onlineverbindung sorgt, wenn im Büro mal wieder der Strom ausfällt.

Über die Crowdsourcing-Plattform „Kickstarter“ sammelt Hersmann derzeit Geld von freiwilligen Investoren, um das Produkt in die Serienproduktion zu bringen. Mehr als 60.000 US-Dollar hat er bereits zusammen, doch nur wenn das Projekt bis zum 4. Juni insgesamt 125.000 US-Dollar einsammeln kann, wird es in Serie gehen können.

Eine Geschäftsidee hat auch die Journalistin Beate Wedekind. Die ehemalige Chefredakteurin der Zeitschrift BUNTE lebt heute mal in Berlin, mal in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Auf der re:publica stellte sie ihr Startup „The New Africa“ vor. Ihr Ziel sei es, so Wedekind, eine journalistische Plattform zu schaffen, die den Menschen einen anderen Blick auf Afrika ermöglicht, als die stereotypen Bilder von Hunger, Krieg und Elend. Denn es geschehe längst viel mehr in Afrika. Es boomt, die Menschen gründen Unternehmen und gerade der Mangel an für uns selbstverständliche Ressourcen inspiriere die Menschen zu unvergleichlicher Kreativität.

Wie man Menschen mithilfe modernster Technologien an der Wissenschaft beteiligt, erklärte Dr. Carola Ödmand-Govender. Foto: Dennis Knake/QSC

Wie man Menschen mithilfe modernster Technologien an der Wissenschaft beteiligt, erklärte Dr. Carola Ödmand-Govender aus Südafrika. Foto: Dennis Knake/QSC

Überhaupt war Afrika auf der diesjährigen re:publica stark vertreten. So stellte die Astrophysikerin Dr. Carolina Ödman-Govender aus Südafrika in der Session „Crowdsourced Astronomy“ das sich derzeit in Entwicklung befindliche weltweit größte Radioteleskop der Welt, das „Square Kilometre Array“ vor.

Sie verdeutlichte, wie moderne Internet-Technologien der Wissenschaft heute dabei helfen, mit den schier unglaublichen Mengen an wissenschaftlichen Daten, die die moderne Forschung heute sammeln kann, überhaupt fertig zu werden. So werden interessierte Menschen weltweit via Internet an der Datensichtung beteiligt. Das spart nicht nur Zeit und Geld, sondern macht Wissenschaft für jedermann erfahrbar.

Die Tops und Flops der re:publica

Ein echtes Highlight lieferte Johannes Kleske mit seinem Beitrag „Das Ende der Arbeit – Wenn Maschinen uns ersetzen“: Immer ausgefeiltere Technologie dringt jeden Tag ein Stückchen weiter in unsere Arbeits- und Lebensbereiche vor. Und wenn sie unseren Job nicht gleich ganz übernehmen, analysieren sie unsere Arbeit doch immer detaillierter auf Effizienz. Doch wo führt uns das hin? Massenarbeitslosigkeit oder heile Welt?

In der Vergangenheit haben neue Technologien zwar alte Jobs ersetzt, aber gleichzeitig auch ganz neue Arbeitsplätze erschaffen. Doch geht das endlos so weiter? Eine Bestandsaufnahme zeigt: Nach der Wirtschaftskrise 2008 haben sich die Gewinne vieler Unternehmen schnell wieder erholt, nur die Menschen scheinen dabei auf der Strecke geblieben zu sein. Ist technologischer Fortschritt also der Holzweg? Oder müssen wir einfach lernen, Technologien für und nicht gegen unser aller Nutzen einzusetzen.

Kleske lieferte auch einen nachdenklich machenden Einblick in den Ist-Zustand: So berichtete er über Unternehmen, die bereits heute ihre Angestellten mit elektronischen Armbändern ausstatten. Diese messen deren Effektivität, um eventuelle Bonuszahlungen zu ermitteln. Bei aller Begeisterung für das technisch mögliche: Kleske fordert in seinem Vortrag den „kritischen Geek“, ein zwar der Technologie positiv zugewandter Mensch, der die Möglichkeiten dennoch hinterfragt und nicht alles blind bejubelt.

Verschnaufen auf der re:publica 2013: An den drei Konferenztagen tummeln sich auf engstem Raum wohl mehr Smartphones, Tablets und Notebooks als Tina Turner Haare auf dem Kopf hat. Foto: Dennis Knake/QSC

Verschnaufen auf der re:publica 2013: An den drei Konferenztagen tummelten sich auf engstem Raum wohl mehr Smartphones, Tablets und Notebooks als Tina Turner Haare auf dem Kopf hat. Foto: Dennis Knake/QSC

Gesellschaftskritisch ging es bei Tanja und Johnny Haeusler, beide Mitbegründer der re:publica, zu. In der kurzen Session „Netzgemüse: The Kids are alright“ prangerten sie den Umgang der Gesellschaft mit den Kindern an.

Kinder, die von Anfang an „funktionieren“ müssen. Und zwar schon vor der Geburt durch Selektion mit der in die Mode gekommen Pränatal-Diagnostik, über den Trend zur Kindererziehung durch „Profis statt Eltern“ bis zu einem verstaubten Schulsystem. Kurzum, einer von Anfang bis Ende auf Erfolg und „angepasst sein“ getrimmten Leistungs- und Ellenbogengesellschaft. Wenn sie schon in der realen Welt kaum noch Platz bekämen, dann solle man sie wenigstens im Internet in Ruhe lassen. Dort können sie ihrer Kreativität noch freien Lauf lassen und kennen sich eh besser aus als die Eltern.

Eigentlich wollten die Haeuslers ja ihr neues Buch „Netzgemüse“ vorstellen, hieß es. Doch nun habe man das Konzept umgeworfen, um einmal im „Quadrat zu kotzen“. Auch das ist re:publica.

Der Wikimedia e.V. schaffe es leider nicht, die Zuschauer zu begeistern. Im Foto: Dirk Frank (l.) und Wikimedia Vorstand .... Foto: Dennis Knake/QSC

Der Wikimedia e.V. schaffte es leider nicht, die Zuschauer zu begeistern. Das lag wohl auch am polemischen Auftritt von Wikipedia-Admin Dirk Franke (l.). Da vermochte auch Vorstand Pavel Richter nichts mehr zu retten. Foto: Dennis Knake/QSC

Misslungen hingegen die Session des Wikimedia e.V. Der Berliner Verein ist für die Inhalte der deutschen Version der Wikipedia verantwortlich. Unter dem Titel „Wikipedia: wo User geblockt, Artikel gelöscht und Reputationen zerstört werden“ wollte man einen kleinen Einblick hinter die Kulissen geben – auf die Schwierigkeiten, die es beim Verifizieren von Einträgen gibt, und auch ein wenig für Verständnis werben, wenn nicht jeder Eintrag in der Wikipedia bestehen bleiben kann.

Der Hintergrund: Im Jahre 2009 geriet Wikimedia mit der „Relevanzdebatte“ unter erheblichen Beschuss, da die Online-Enzyklopädie nach Meinung ihrer Kritiker Einträge angeblich wahllos mit der Begründung „irrelevant“ löschte. Doch Pavel Richter, Vorstand von Wikimedia Deutschland und Anja Ebersbach, stellvertretende Vorsitzende, verpassten die Chance auf mehr Verständnis für die sicherlich nicht immer leichte Arbeit: Sie präsentierten auf der Bühne den in der Szene bekannten Wikipedianer Dirk Franke, der in seinem Vortrag prompt alle Klischees des „selbstherrlichen Wikipedia-Admins“ erfüllte.

Mit einbetoniertem Lächeln verkündete er, fast alle Artikel ,die man lösche, seien ohnehin „Schrott“. Als Beleg für den Schrott mussten dann Banalitäten, ein Wikipedia-Eintrag mit dem Inhalt „Kaka“ herhalten. Wer hätte da widersprechen wollen. Doch kritische Nachfragen aus dem Publikum perlten an dem Berliner Politologen teflonartig ab. Schließlich sprang Richter ein und gab zu, damals sei nicht alles optimal gelaufen. Als dann Anja Ebersbach bei der Frage, warum weitaus mehr Männer als Frauen bei Wikipedia mitschreiben, die These aufstellte, es könne vielleicht an dem etwas komplexen Editor liegen, war es mit der Contenance einiger Zuhörerinnen vorbei. Lust zum Mitschreiben macht so eine Vorstellung nicht.

Sichtlich entspannt war Daimler Chef Dieter Zetsche. Der Moderator spulte einen harmlosen Fragenkatalog ab. Foto: Dennis Knake/QSC

Sichtlich entspannt war Daimler-Chef Dieter Zetsche. Dafür hatte er auch allen Grund: Der Moderator spulte einen harmlosen Fragenkatalog ab. Foto: Dennis Knake/QSC

Ähnlich enttäuschend das Interview mit Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche. Als einer der Hauptsponsoren der re:publica war der Auftritt des Top-Managers natürlich ein Publikumsmagnet. Doch der Moderator spulte die Fragen im prallgefüllten Saal wie von einem Einkaufszettel herunter und beantwortete manches gleich selbst.

Das war für Zetsche, der auf Daimler-Hauptversammlungen Fragen ganz anderen Kalibers gewohnt ist, wie ein Kindergeburtstag: Sichtlich gut gelaunt gab er auch mal ein „das haben Sie jetzt sehr gut erklärt“ als Antwort zurück. Das war kein Wink mit dem Zaunpfahl, sondern gleich mit der ganzen Gartenhecke. Hier hätte man sich mehr Professionalität gewünscht. So blieb auch nicht mehr viel Zeit für die Publikumsfragen, bei denen die Show dann erst richtig interessant wurde. Schade. Chance vertan.

Mein persönliches Fazit

Auf der re:publica sprudelt es von Ideen, Kreativität und Enthusiasmus. Vereinzelt noch etwas halbgar vorgetragen, aber dennoch ein perfekter Ort zum Netzwerken und Inspirationen sammeln. Der perfekte Ort, den sich auch Menschen ohne Twitter- oder Facebook-Account durchaus einmal anschauen sollten. Hier treffen Digital Natives und Digital Immigrants zusammen. Es wäre schön, jetzt auch ein paar Digital Newbies für die re:publica zu begeistern. Nur über eines muss man sich im Klaren sein: Auf der re:publica bleibt die Krawatte zuhause!

Surftipp zu re:publica 2013

michaelkreil.github.io/republicavideos
Der Veranstaltungsplan mit den jeweils verlinkten Videos der re:publica zum „nachsehen“.

 

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