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Publiziert am 13. Februar 2012 von unter:

ACTA und die Providerhaftung

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA), ein multilaterales Handelsabkommen auf völkerrechtlicher Ebene zur Eindämmung der Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen, schlägt in der politischen und medialen Diskussion hohe Wellen. ACTA wird von unterschiedlichen Seiten teils als schwerer Eingriff in bürgerliche Freiheiten gesehen, teilweise als substanziell geringe Neuerung zur bereits bestehenden Gesetzeslage in Deutschland. Am Wochenende fanden bundesweit in mehreren deutschen Städten Demonstrationen statt. Und auch wir bekommen Anfragen, ob die Daten unserer Kunden in Zukunft noch sicher sind.

Ein großer Kritikpunkt der ACTA-Gegner ist das Zustandekommen unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit. Und selbst der Deutsche Journalistenverband, der sich grundsätzlich für einen verstärkten Schutz der Urheberrechte im Internet einsetzt, kritisierte:

„Die gesetzestaugliche Formulierung, um die Interessen von Urhebern und Nutzern zum Ausgleich zu bringen, sollte so transparent wie möglich erfolgen. Quelle: djv

Mit der Heimlichtuerei habe man Proteste gegen ACTA provoziert und den berechtigten Urheberinteressen einen Bärendienst erwiesen.

Viel Verwirrung um ACTA

Doch auch der Inhalt von ACTA selbst sorgt für Verwirrung. Kritikpunkt ist die oft sehr schwammige Formulierung, die nach Ansicht der Kritiker viel zu viele Unsicherheiten schafft. So lesen einige aus dem ACTA-Abkommen, dass Internet-Zugangsanbieter zukünftig den Datenverkehr ihrer Kunden auf Urheberrechtsverstöße überprüfen müssten. Andere wiederum finden eben diese Passage dort nicht. IT-Fachanwalt Thomas Stadler aus München schreibt in seinem Blog:

„Auch die des öfteren aufgestellte Behauptung, ACTA würde Internet-Provider dazu verpflichten Online-Inhalte zu überwachen, findet im Vertragtext keine Stütze.“ Quelle: Internet-Law Blog

Fakt ist, in der finalen Fassung vom 23. August 2011 finden sich unter Artikel 27 Absatz 4 des Abkommens Passagen wie diese:

„Jede Vertragspartei (gemeint sind hier die Unterzeichnerstaaten Anm. d. Red.) möge, in Übereinstimmung der Gesetze und Regeln, zusammen mit den zuständigen Behörden Online Service Provider dazu auffordern, zügig notwendige Informationen zur Identifizierung eines Kunden den jeweiligen Rechteinhabern auszuhändigen, dessen Account für eine Urheberrechtsverletzung genutzt wurde…“

Das klingt noch nicht nach einer anlasslosen Datenüberwachung durch die Zugangsprovider, sondern nach dem, wozu Anbieter nach geltendem deutschen Recht ohnehin schon verpflichtet sind: Gegenüber Strafverfolgungsbehörden, staatlichen Sicherheitsdiensten und Gerichten Auskünfte über Kundenanschlüsse zu erteilen, sollte der Verdacht einer illegalen Handlung bestehen.

Aber vielleicht sind es Passagen wie diese, die für Unsicherheit sorgen: So ist in Artikel 28 Absatz 2 unter der Überschrift „Durchsetzungpraktiken“ zu lesen:

„Jede Vertragspartei sollte das Sammeln und Analysieren von statistischen Daten und anderen relevanten Informationen über Verstöße gegen Rechte an geistigem Eigentum fördern sowie Informationen über bewährte Praktiken zur Verhütung und Bekämpfung der Verstöße sammeln“

Dieser Satz kann vieles Bedeuten. Sollen die Länder also nur Daten über Urheberrechtsverstöße in ihrem Land sammeln und passende Maßnahmen entwickeln, wie man diesen am besten begegnet? Das lässt viel Spielraum zur Spekulation. Stellt sich die Frage: Wie sollen solche Daten erhoben werden? Etwa indem die Staaten vielleicht Internet-Zugangsprovider dazu verpflichten, über den Datenverkehr ihrer Kunden zukünftig genauestens Buch zu führen?

Anti ACTA Demonstration am 11.02.2012 in Düsseldorf

Europaweite Anti ACTA Demonstration am 11.02.2012, hier in Düsseldorf. Kritikpunkte der Gegner sind unter anderem die schwammigen Formulierungen sowie das geheime Zustandekommen des Abkommens. Foto: Dennis Knake (cc by-nc-sa 2.0)

Wie auch immer der ACTA Text ausgelegt wird, er schürt schon jetzt Sorgen und Ängste. So erreichen uns dieser Tage auch Anfragen zum Thema Providerhaftung. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich spreche im Folgenden nur vom so genannten Internet-Zugangsanbieter, der einem Kunden die „Eingangstür“ ins Internet öffnet.

Sollten diese Zugangsanbieter in Zukunft wirklich für die „Taten“ ihrer Kunden im Internet haftbar gemacht werden können, hätte das unweigerlich zur Folge, dass die Anbieter den Datenverkehr ihrer Kunden genauestens überwachen müssten. Jedes einzelne Datenpaket müsste bis aufs kleinste Bit ausgepackt und überprüft werden.

Die Contentüberwachung im Praxis-Check

Doch ist das überhaupt realistisch? Lassen Sie es mich mit einer sprichwörtlichen Analogie versuchen: Genauso könnte man morgen die Post für alles zur Verantwortung ziehen, was ihre Kunden in Briefen und Paketen um den Globus versenden. Egal ob das nun eine illegal kopierte CD, Drogen oder Briefbomben wären. Ein solches Gesetz hätte zur Folge, dass künftig jeder Brief und jedes Paket geöffnet und genauestens auf seinen Inhalt hin überprüft werden müsste. Das würde vielleicht den Arbeitsminister freuen, denn so etwas klingt nach einer Maßnahme zur Vollbeschäftigung im Lande. Doch zahlen die Rechteinhaber für die zu leistende Mehrarbeit? Wer kümmert um die Ausbildung, um Urheberrechtsverstöße oder andere Delikte überhaupt rechtssicher zu erkennen? Ist das verpackte Parfum echt, oder nur eine Nachahmung? Darf der Kunde dieses Medikament bestellen oder hat er es ohne Verschreibung erstanden? Und selbst wenn geschützte Werke in Briefen und Paketen entdeckt werden: Woher nimmt die Post das Wissen, ob der Absender nicht vielleicht das Recht dazu hatte, das entdeckte Werk zu versenden? Nehmen wir an, ein Kunde wird fälschlicherweise der Rechteverletzung beschuldigt. Wie würde die Post vor Regressforderungen, etwa für nicht übermittelte Briefe, ungerechtfertigten Abmahnungen oder die Schmach, eine Nacht unschuldig in Untersuchungshaft gesessen zu haben, geschützt?

Internet-Zugangsanbieter stehen vor genau dem selben Problem: Technisch wäre möglich, Datenpakete automatisiert auf bestimmte Inhalte zu durchsuchen. Nichts anderes geschieht bei einem Virenscanner, der jedes ein- und ausgehende Bit auf verdächtige Signaturen überprüft. Ein solcher „Content-Scanner“ müsste aber mehr können als nur bekannte Signaturen zu erkennen. Er müsste in der Lage sein, Musik, Texte und Bilder eindeutig zu identifizieren. Und nicht nur das, er müsste auch erkennen können, ob der jeweilige Nutzer an eben diesem Werk auch wirklich keinerlei Rechte besitzt, die es ihm erlauben würden, das Werk in diesem Moment per E-Mail zu versenden, es auf irgend eine Webseite zu stellen oder sonst wie digital mit einem oder mehreren Empfängern zu teilen. Denn eine so genannte „false positive“-Erkennung hätte für den Internet-Zugangsanbieter unter Umständen fatale Folgen: Wir kennen das aus dem Bereich der Spam-Filterung. Filtert man zu viel, kommen eventuell wichtige E-Mails nicht mehr beim Empfänger an. Der Anbieter des Spamfilters könnte in Regress genommen werden, wenn aufgrund eines Fehlalarms wichtige Daten nicht übermittelt wurden und dem Kunden dadurch Schäden entstanden sind. Aus diesem Grunde werden Spam-Mails auch vorzugsweise auch nur als Spam markiert und nicht sofort gelöscht. Und wie gut die Spamfilter nach Jahren der Entwicklung heute auch sein mögen: Wir alle wissen, es kommt immer mal der ein oder andere „Lottogewinn aus Spanien“ durch und leider finden wir manchmal die wichtige Mail partout nicht, in der uns der Reiseveranstalter gerade unsere Urlaubstickets übermittelt hat. Statt eines Livescans könnte es natürlich auch auf eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung hinaus laufen, bei der nur im Bedarfsfall noch einmal genauer hingeschaut wird…

Zugangsanbieter als Ermittlungsbehörden?

Selbst wenn es also möglich wäre, eine solche Filtersoftware zu entwickeln: Wer kommt für die Kosten auf? Die Rechteinhaber, die ihre Werke geschützt sehen wollen? Man hört zwar immer wieder von Forderungen, Internet-Zugangsprovider sollten mehr für das Urheberrecht tun, aber von Angeboten, diese Kosten dann auch zu übernehmen, hört man bislang wenig. Internet-Zugangsprovider können nicht zur Wahrung der Interessen einzelner Wirtschaftszweige mit in die Verantwortung gezogen werden. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco e.V.) sieht durch ACTA gar das Wirtschaftswachstum bedroht und bringt es auf den Punkt

„Provider werden zu Hilfssheriffs der Rechteinhaber gemacht. Quelle: eco

Das Telekommunikationsgeheimnis gehört geschützt

Wie immer es am Ende auch um die technischen Lösungsfragen einer allgemeinen Contentüberwachung steht, ob machbar oder nicht, ob finanzierbar oder nicht, ob rechtssicher oder nicht, es gibt noch viel schwerwiegendere Argumente dagegen. Und das ist auch einer der Hauptgründe, warum niemand von der Post das Öffnen ihrer Briefe verlangen würde: Es gibt schließlich noch den grundgesetzlich verankerten Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses unter letzteres auch die Telekommunikation fällt. Dieses Recht sollte im Interesse der ganz überwiegenden Mehrheit der Internetnutzer auch in Zukunft grundsätzlich geschützt bleiben. In Artikel 10 des Grundgesetzes ist eine Beschränkung nur dann vorgesehen, wenn es „dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes“ dient. Zwar können Urheberrechtsverletzungen einzelnen Wirtschaftszweigen unter Umständen schwere Schäden zufügen, dass dadurch aber die freiheitlich demokratische Grundordnung gestört würde, darf getrost bezweifelt werden. Es gilt, die Verhältnismäßigkeit zu wahren.

So urteilte das Landgericht Köln am 31. August 2011 gegen das Unterlassungsbegehren eines Rechteinhabers gegenüber einem Zugangsprovider. In den Enscheidungsgründen führte das Gericht auf:

Die Umsetzung solcher Vorsorgemaßnahmen hätte zur Folge, dass die Beklagte die Datenkommunikation zwischen ihren Kunden […] kontrollieren müsste, wodurch sie Kenntnis von den Umständen der Telekommunikation einschließlich ihres Inhalts erhielte.[…] Die Errichtung solcher Filter- und Sperrmaßnahmen durch den Internetzugangsanbieter als zentrale Schnittstelle für die Datenkommunikation ist ohne gesetzliche Grundlage mit dem durch Art. 10 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützten Fernmeldegeheimnisses […] nicht zu vereinbaren. Quelle: telemedicus

Hoffnungsvoll stimmt auch, dass deutsche Gerichte auch im Wettbewerbsrecht Zugangsprovider bereits in der Vergangenheit wiederholt von der Verantwortung für rechtswidriges Verhalten ihrer Kunden im Internet entbunden haben (Urteile: LG Kiel, 23.11.2007, Az. 14 O 125/07, LG Düsseldorf, 13.12.2007 Az. 12 O 550/07, OLG Frankfurt, 21.01.2008, Az 6 W 10/08).

Auch auf europäischer Ebene nährt ein jüngst gefälltes Urteil des Europäischen Gerichtshofes (Az. C-70/10) die Hoffnung, dass eine allgemeine Überwachungspflicht nicht durchsetzbar bleibt, da sie gegen anwendbare europäische Grundrechte verstößt.

(Es) ist festzustellen, dass die dem betroffenen Provider auferlegte Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, ihn verpflichten würde, eine aktive Überwachung sämtlicher Daten, die alle seine Kunden betreffen, vorzunehmen […]. Daraus folgt, dass diese Anordnung den Provider zu einer allgemeinen Überwachung verpflichten würde, die nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 verboten ist. […] Der Schutz des Rechts am geistigen Eigentum ist zwar in Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union […] verankert. Gleichwohl ergibt sich weder aus dieser Bestimmung selbst noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dieses Recht schrankenlos und sein Schutz daher bedingungslos zu gewährleisten wäre. […] das Eigentumsrecht […] ist in ein Gleichgewicht mit anderen Grundrechten zu bringen. Quelle: telemedicus

Bliebe am Ende nur noch, die Grundrechte zu ändern. Aber das wollen wir hoffentlich alle nicht. Deutschland hat die Unterzeichnung des ACTA Abkommens vorläufig ausgesetzt. Dabei sollte es bleiben.

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