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Digitalisierung im Modehandel: High Noon auf der High Street

Bild: Shutterstock/ Itsra Sanprasert

Die Digitalisierung ist über Branchen wie Medienhäuser oder traditionelle Reiseveranstalter hinweggerollt: Jetzt droht dem Modehandel die digitale „Disruption“. Die Unternehmensberatung Horn & Company liefert eine Analyse mit 5-Punkte-Plan für die digitale Transformation der Textileinzelhändler.

Der Nürnberger Modehandel Wöhrl hat Gläubigerschutz beantragt, derzeit läuft ein Schutzschirm-Restrukturierungsverfahren. Auch der 2013 von Wöhrl übernommene Bekleidungsfilialist SinnLeffers ist betroffen, das Unternehmen ist ebenfalls zahlungsunfähig und hat wie die Muttergesellschaft ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt. Der Grund für die Probleme: Rückläufige Umsätze und Ertragsverfall. Wöhrl rechnet in diesem Jahr mit einem Umsatz von 300 Millionen Euro, 16 Millionen weniger als im Vorjahr. Schwarze Zahlen schrieb die Modekette zum letzten Mal 2014.

Wöhrl und SinnLeffers sind kein Einzelfall, vor allem etablierte Textileinzelhändler kämpfen mit existenzbedrohenden Umsatz- und Ertragserosionen. „Einige textile Einzelhändler hängen am seidenen Faden“, warnt auch Ron van het Hof, Deutschlandchef des Kreditversicherers Euler Hermes, „das werden nicht die letzten Insolvenzen gewesen sein.“

Auf der High Street ist es kurz vor High Noon: Die Lage ist ernst, eine Rückkehr zu den „guten, alten Zeiten“ wird es nicht geben. Wer überleben will, muss jetzt handeln. Aus der Erfahrung unserer Beratungsprojekte im Handel haben wir bei Horn & Company für unsere Klienten eine Management-Agenda erarbeitet. Konsequent umgesetzt sorgt dieses Revitalisierungsprogramm dafür, dass vor allem traditionelle Bekleidungshändler wieder nachhaltig wettbewerbsfähig werden können.

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Der Online-Handel lässt die klassische Haupteinkaufsstraße, wie die High Street in Großbritannien, verwaisen. Die Modeeinzelhändler haben die Digitalisierung bisher verschlafen und müssen jetzt aktiv werden, damit wieder neues Leben in die High Street kommt.

Zwei Trends laufen gegen den traditionellen Modehandel

Obwohl die Wirtschaft brummt und die Bundesbürger durchaus konsumfreudig sind, verläuft das Geschäft im Modehandel mau: Auf Umsatzwachstum müssen Peek & Cloppenburg und C & A oder die Bekleidungsabteilungen von Karstadt oder Kaufhof nach Prognosen auch in den kommenden Jahren verzichten, höhere Preise lassen sich in dieser Situation kaum durchsetzen.

Aus unserer Sicht ursächlich für die trüben Aussichten im Modehandel sind zwei Trends, die vor allem gegen die etablierten Filialisten laufen: Zum einen hat das Interesse der Konsumenten an Mode generell abgenommen, viele Menschen geben ihr Geld heute lieber für Elektronikartikel wie Smartphones, Flachbild-Fernseher oder Spiele-Konsolen und für Reisen aus. Entsprechend weniger Kaufkraft bleibt für neue Sakkos, Hosenanzüge oder Jeans.

Zum anderen bedroht der ständig wachsende Online-Anteil im Modehandel die traditionellen Filialisten mit ihren oftmals großen Ladengeschäften. Schon im vergangenen Jahr wurde branchenweit gut ein Viertel aller Umsätze im Internet erwirtschaftet, wir gehen davon aus, dass dieser Trend unumkehrbar ist: Bis 2020 dürfte der Online-Anteil jährlich um gut neun Prozent wachsen, mit Beginn des neuen Jahrzehnts werden 40 Prozent aller Bekleidungskäufe über Zalando, Dress-for-Less, Otto.de oder andere Online-Plattformen getätigt. Mode-Shopping vom heimischen Sofa via Notebook, per Tablet aus der Kneipe oder per Smartphone im Bus statt im Laden in der Einkaufszone wird bis dahin von der ergänzenden Ausnahme zum Normalfall.

Doch nicht nur externe Faktoren sind für die Misere verantwortlich, ein Großteil der Krise ist nach allen Erfahrungen, die wir in unseren Projekten gewonnen haben, selbstverschuldet: Einzelhändler wie Hersteller haben die von Experten vorhergesagte Verlagerung zum Online-Handel und dessen existenzbedrohende Auswirkungen auf traditionelle Geschäftsmodelle total unterschätzt.

 

Auf den Online-Boom war die Branche schlecht vorbereitet

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Bild: Shutterstock/Stanisic Vladimir

Entsprechend unvorbereitet hat der Boom der Internet-Einkäufe viele in der Branche getroffen. Was wir ebenfalls feststellen mussten: Ladenflächen in den Innenstädten – eigentlich das Asset der Einzelhändler gegenüber den Onlinern – werden wegen des Geschäftsrückgangs immer mehr zur Belastung. Fast die Hälfte aller Einzelhändler klagte in den vergangenen beiden Jahren über eine rückläufige oder sogar stark rückläufige Kundenfrequenz in ihren Läden.

Spätestens an dieser Stelle geraten die traditionellen Händler in einen Teufelskreis, aus dem es ohne hartes Gegensteuern kaum einen Ausweg gibt: Aufgrund der Umsatz- und Margenerosion fehlen die Mittel, um die Läden zu modernen und interaktiven Erlebniswelten aufzupeppen und so der Online-Konkurrenz Paroli bieten zu können.

Das fehlende Geld für notwendige Umbauten, Erlebnis-Aktionen oder neue Service-Angebote, die das Shoppen auf den Einkaufsmeilen wieder attraktiv machen könnten, sind aber nur eines von mehreren Problemen. Denn den meisten Händler fehlen nicht nur die finanziellen Mittel, sondern auch die zündenden Ideen: „Wir wissen nicht, wo die Oase ist und wenn wir es wüssten, wüssten wir nicht, wie wir dort hinkommen sollten“, beschrieb einer unserer Klienten sein Dilemma beim Projekt-Briefing.

Der fehlende Kompass hat dazu geführt, dass viele Modernisierungsversuche vor allem der traditionellen Multi-Marken-Händler in der Vergangenheit ins Leere gelaufen sind, die als Edel-Ambiente konzipierte Laden-Deko hat Patina angesetzt. Auf die Loyalität ihrer Kunden können die Traditionalisten ebenfalls nicht mehr hoffen – die Online-Händler wissen einfach mehr über die Wünsche ihrer Klientel und gehen darum auch besser auf sie ein.

 

Defizite in der Nutzung von Digitalisierungschancen

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Bild: Shutterstock/Ruslan Grumble

Rund die Hälfte aller Bekleidungsumsätze der Top-100-Online-Shops in Deutschland entfallen mittlerweile auf Amazon, Zalando und Otto.de. Was haben die drei Genannten, was andere nicht bieten? Sie sind selbst eine starke Händler-Marke, führen starke Marken im Angebot, haben ein großes Sortiment, gewähren Preistransparenz, guten Service und schnelle Lieferung, unkomplizierte Reklamationsverfahren, ein großzügiges Rückgaberecht, sie kennen ihre Kunden und können ihnen deshalb individualisierte Angebote unterbreiten.

Zumal Online-Einkäufe nicht nur bequemer, sondern häufig auch noch billiger sind – zumindest gefühlt. Die Preise werden permanent an die jeweilige Nachfragesituation angepasst, außerdem schafft das Internet eine fast vollständige Preistransparenz. Im Laden dagegen sind sich viele Kunden nie ganz sicher, ob sie nicht gerade über den Tisch gezogen wurden und mehr als nötig bezahlt haben.

Benchmark bei der dynamischen Preisbildung ist Amazon. Der mit einem Umsatz von knapp 7,8 Milliarden Euro größte deutsche Online-Händler hat seine digital unterstützten Prozesse und Systeme so aufgerüstet, dass die Preise abhängig von Tageszeit und Nachfrage bis zu 2,5 Millionen Mal pro Tag geändert werden können.

Dagegen liegen die meisten traditionellen Händler nach unseren Erfahrungen bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle um Lichtjahre zurück. Ihre Schwächen manifestieren sich im Kundenmanagement und dort vor allem bei der Abstimmung zwischen den Aktivitäten auf digitalen Kanälen wie Facebook oder Instagram und den physischen Kundenkontaktpunkten entlang der Customer Journey bis in die Filialen und den After-Sales-Service.

Das wiederum führt dazu, dass vor allem jüngere Kunden, die sich mehr oder weniger rund um die Uhr auf verschiedenen Kanälen über Preise und Angebote informieren und permanent online sind, solche Einzelhändler gar nicht mehr auf dem Radar haben. Noch schlimmer, wenn diese netzaffinen jungen Kunden sich dann in Fachforen im Internet über den altbackenen Auftritt oder sonstige Versäumnisse auslassen, ohne dass die Betroffenen das überhaupt mitbekommen – weil die Diskussionen in solchen Foren für Traditionalisten mehr Niemands- als Neuland sind.

 

Die Filiale mit Zukunft – ein Szenario

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Bild: Shutterstock/ PHOTOCREO Michal Bednarek

Dabei mangelt es nicht an Ideen, mit denen sich der Modeeinzelhandel so ausrichten ließe, dass es sowohl für die angestammte Kundschaft, als auch für potenzielle Kunden der Generation Y interessant wäre. Unternehmen aus dem angelsächsischen Raum und aus den asiatischen Metropolen machen es vor. Erstens: Die Filiale wird zur Plattform für einen Erlebniskauf. Eine Warenpräsentation im Kontext verschiedener Lebenswelten – freizeitlich/leger, sportiv, festiv, jugendlich/hip, outdoor – schafft ein thematisch kompaktes, multimedial unterstütztes Verkaufsambiente mit der Chance ganze „Looks“ zu verkaufen. Und jede Lebenswelt hat auch das dazu stilistisch sichere und altersmäßig passende Verkaufs- und Beratungspersonal.

Zweitens: Nutzung aller Chancen für digitale Interaktion und digitale Convenience. Zum Beispiel individuell und situativ gesteuerte Einkaufsassistenten, die registrieren, dass sich der Kunde gerade für Jeans interessiert und dem man genau in dem Moment eine Nachricht aufs Smartphone schicken könnte, die ihm den zur Jeans passenden Gürtel empfiehlt. Oder eine Umkleidekabine, in der per Laser die Figur vermessen werden kann und der Kunde die exakte Größen- und Passform-Empfehlung bekommt. Aus den Daten aktueller und früherer Einkäufe ließen sich zudem Präferenzen und Budgets ableiten, mit denen den Kunden künftig per Mail regelmäßig individuell zugeschnittene Angebote unterbreitet werden könnten.

Drittens: In der Konsequenz erwarten wir, dass sich die Rolle der Filialen aus Konsumentensicht grundsätzlich verändern wird. Von transaktionsorientierten Flächen mit hoher Sortimentspräsenz zu „interaktiven Showrooms“ mit erheblich niedrigerer physischer Warendichte, bis hin zu rein digital inszenierten Flächen. Order- und Bezahlfunktionen können durchaus Bestandteil des zukünftigen Showrooms sein, aber die Belieferung erfolgt zentral in Eigenregie oder über externe Partnerunternehmen.

 

Von Aufbruchsgeist ist (noch) wenig zu spüren

Die richtigen Prioritäten zu setzen, ist für die Händler allerdings alles andere als trivial. Zum einen müssen langjährig erlernte Muster des Geschäfts über Bord geworfen werden, zum anderen ist damit auch ein erheblicher Investitionsbedarf verbunden. Dennoch lohnt sich der Kraftakt: Der Return-on-Invest führt zu einer nachhaltigen Verbesserung der zentralen Kennzahlen des Modehandels; Frequenz, Kaufabschlussquote und Kundenloyalität gehen nach oben.

Von solchem Aufbruchsgeist ist in den Filialen bisher jedoch noch wenig zu spüren, und auch die eher zaghaften Online-Kanäle der Traditionalisten sind in der Kundengunst weit abgeschlagen.

Haben die traditionellen Einzelhändler nach dieser ziemlich ernüchternden Bilanz überhaupt noch eine Chance, wieder zu einem attraktiven Erlebnis- und Einkaufsort auch für die 16- bis 40-Jährigen zu werden? Die Antwort ist: Ja!

 

Fünf Punkte für die Management-Agenda

Aus unseren Projekterfahrungen bei Horn & Company haben wir fünf Punkte für die Management-Agenda herausgearbeitet, um (wieder) eine nachhaltig erfolgreiche Position im Wettbewerb einzunehmen:

1. Erarbeiten Sie eine umfängliche Strategie für die digital unterstützte Transformation

Ohne eine solche Strategie mit Prioritäten und Zielen, die unmittelbar in der Gewinn- und Verlustrechnung des Unternehmens sichtbar werden, haben traditionelle Geschäftsmodelle kaum eine Chance. Unsere Erfahrung zeigt zudem, dass bereits verfolgte Konzepte häufig hinsichtlich Anzahl der Projekte und Zeitachse zu fragmentiert geplant sind. In dem fehlenden Masterplan liegt eine wesentliche Ursache für Frustrationen der Beteiligten und das Scheitern einer Modernisierung.

2. Machen Sie die Digitalisierung zur Chefsache

Damit der Fahrplan nicht zu einer unverbindlichen Sammlung von Empfehlungen degeneriert, muss Digitalisierung Chefsache werden, nur so bekommt der Veränderungsprozess den notwendigen Drive und nur so können die Mitarbeiter davon überzeugt werden mitzuziehen. Digitalisierung braucht das Commitment des gesamten Managements, da sie für viele – wenn nicht alle – Funktionen Relevanz haben kann.

3. Fokussieren Sie sich auf Ihre Kunden und Kanäle – dort sind Handlungsbedarf und Chancen am höchsten

Mit einem optimierten Kundenmanagement und einer verfeinerten, verhaltensorientierten Segmentierung der Käufer schaffen Sie die Voraussetzung für eine individuelle und situationsoptimierte Ansprache über und zwischen Ihren physischen und digitalen Vertriebskanälen entlang der Customer Journey. Damit steigern Sie Ihre Kundenausschöpfung und -loyalität. Da bei über 25 Prozent aller Käufe in einer Filiale eine Online-Recherche vorgeschaltet und bei mehr als 30 Prozent der Filialbesuche ein (günstigerer) Onlinekauf nachgelagert ist, sind Filialen mit kundenorientiertem Einkaufserlebnis zwar eine notwendige aber noch keine hinreichende Voraussetzung für den Erfolg. Um die erforderliche Omnikanalkompetenz aufzubauen, können Partnerschaften mit anderen Unternehmen aus dem weiteren Umfeld hilfreich sein. Die mittelständischen Sportartikelhändler des Einkaufsverbands Intersport kooperieren zum Beispiel mit Sportreiseveranstaltern, um sich gegen Amazon oder den Branchen-Preisbrecher Decathlon zu behaupten.

4. Digitalisieren Sie Ihre Kernprozesse

Die Optimierung von Lieferantenmanagement, Sortimentsentwicklung und Kundenmanagement steigert mittelbar und nachhaltig Umsätze und Margen. Eine digital unterstützte Lieferantenplattform und der Datenaustausch zwischen Händler und Hersteller über Bestände und Abverkäufe verbessern Bestellprozesse und verringern Lagerbestände. Auch Produktentwicklung und Kollektionsrhythmen der Eigenmarken können mit Hilfe der Digitalisierung auf das Niveau der Branchen-Besten gesteigert werden. Bei H&M oder Zara vergehen zwischen Entwurf und Verfügbarkeit im Regal gerade mal sechs Wochen, andere brauchen 40 Wochen und mehr. Eine radikal beschleunigte, kundengetriebene Produktentwicklung hilft außerdem, das Risiko modischer Abschriften zu reduzieren. Während die im Rahmen von Sales-Aktionen gewährten Preisnachlässe im Branchenschnitt Abschriften von teilweise über 16 Prozent verursachen, konnten H&M oder Zara diesen Satz deutlich darunter ansiedeln.

5. Schaffen Sie eine leistungsfähige Umsetzungsorganisation

Die Modernisierung des Geschäfts berührt alle Bereiche. Erfolgskritisch für die Umsetzung ist daher ein übergeordneter Leitstand. Je nach Größe und Reifegrad der Organisation kann die Etablierung eines funktionsübergreifenden Chief Digital Officers notwendig und auch effektiv sein, der von einem Team aus allen relevanten Funktionen unterstützt wird. Und natürlich muss die IT vom ersten Tag an eingebunden werden – als Enabler zur Umsetzung der definierten Projekte. Die Verantwortung für den Umsetzungsprozess muss in diesem Team verankert werden.

Aus unserer Sicht ist die Lage für den traditionellen Modehandel sehr ernst. Für einen schnellen und radikalen Wandel gibt es keine echte Alternative. Denn die Erfahrung zeigt: Wer damit noch abwarten will, hat eigentlich schon verloren.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Digitales-Wirtschaftswunder.de, dem Themenblog der QSC AG

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