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Publiziert am 30. August 2011 von unter:

Ist Work-Life-Balance eine Mogelpackung?

Die astronomische Prager Rathausuhr von 1410, Ausschnitt. Foto: Maros Mraz/Wikimedia.org.

Wie gehen wir mit unserer Zeit um? Im Bild die astronomische Prager Rathausuhr von 1410, Ausschnitt. Foto: Maros Mraz/Wikimedia.org.

„Arbeitsplatz der Zukunft“, „Ich-AG“ oder „Das Ich als Marke“ – keine Betrachtung der Arbeitswelt von morgen kommt ohne diese Schlagwörter aus. Dahinter steht das Versprechen, dass Arbeits- und Privatleben besser miteinander vereinbar sein werden. Ich kann meine Zeit weitgehend selbst einteilen, kann frei entscheiden, wann ich welche Arbeit in welchem Zeitraum erledige. Das ist die riesige Chance, die uns die moderne Arbeitswelt bietet.

In der Realität kennen wir aber auch die Kehrseite dieser Medaille: Das Arbeitsleben frisst sich immer mehr ins Privatleben hinein, die Trennung zwischen Beruf und Privatleben fällt immer schwerer, die Versuchung, immer mehr immer schneller zu erledigen, lauert permanent. Auch die viel gepriesene Work-Life-Balance und die damit einher gehende strikte Trennung – nach altem Muster – zwischen Arbeit und Privatleben ist da kein Gegenmittel. Das Einzige, was hilft, ist ein wirklich souveräner Umgang mit Zeit, egal, ob mit Arbeits- oder Freizeit. Denn beides lässt sich gar nicht trennen, beides ist letztenendes vor allem Lebenszeit. In seinem Buch „Zeit als Lebenskunst“ (1) deckt der Theologe, Philosoph und Psychologe Olaf Georg Klein daher all die kleinen und großen „Fallen“ auf, in die wir im Umgang mit unserer Zeit tappen.

Drei dieser Irrtümer im Umgang mit der Zeit, die für den beruflichen Alltag eine besonders große Rolle spielen, seien hier genannt. (2)

1. Irrtum: Work-Life-Balance führt automatisch zu mehr Selbstbestimmtheit

Der Trendbegriff „Work-Life-Balance“ suggeriert einen Gegensatz, den es eigentlich gar nicht gibt: Auf der einen Seite die Welt des Zwanges, der Fremdbestimmtheit und der Arbeit („Work“) und auf der anderen Seite die Welt der Freiheit, der Selbstbestimmtheit und der Entspannung („Life“). Hier die Pflicht, dort die Kür. Und wo ich mich gerade befinde, bestimmt ausschließlich die Stechuhr.

Bei näherem Hinsehen ist das natürlich Unsinn. Denn fürs Arbeitsleben gilt, egal für welchen Job, dass „immer zeitliche Koordinierungsleistungen zu erbringen sind. Zu jeder Aufgabe gehört zu klären, was genau, wie und wann etwas getan werden muss. (…) Diese Prozesse müssen gestaltet und abgestimmt werden (…) mit Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern, Kunden und Klienten (…)“. Und auch hier „gibt es Gestaltungsspielraum, unterschiedliche Handlungsoptionen, unterschiedliche Priorisierungen, unterschiedliche Spezialisierungen, unterschiedliche Kommunikationsarten.“ Persönliche Freiheit also, Selbstbestimmung.

Umgekehrt gilt es in der Freizeit genauso, Zusagen einzuhalten, Abstimmungsprozesse mit dem Partner, mit Freunden, Eltern, Kindern, Vereinsmitgliedern, Nachbarn vorzunehmen, es warten alle möglichen Verpflichtungen auf uns, wie einkaufen, kochen, waschen, putzen, Dinge reparieren oder sogenanntes echtes Freizeitprogramm zu organisieren, wie Sport, spielen mit den Kindern, kulturelle Aktivitäten oder einfach nur faulenzen.

Kleins Fazit: „Beim Vergleich von Zeit- und Koordinationsaspekten gibt es zwischen der Arbeitszeit und der Freizeit eine ganze Reihe von Übereinstimmungen – sogar mehr als Unterschiede.“

Unterm Strich ist es also für unseren Umgang mit Zeit, Lebenszeit, völlig egal, ob wir uns gerade in der Arbeits- oder Freizeit befinden. Entscheidend ist die Haltung, die wir der Zeit entgegenbringen. Sehen wir ständig und überall Zeitmangel oder sehen wir die Zeit, die uns gegeben ist, als Geschenk, als Angebot an? Haben wir das Gefühl, unsere Zeit aktiv zu gestalten oder sind wir permanent damit beschäftigt, Zeit zu sparen, Zeit zu optimieren, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu schaffen? Entscheidend ist letztlich in allen Lebensbereichen die Balance zwischen An- und Entspannung, zwischen selbstbestimmter Zeit und fremdbestimmter Zeit – egal ob im Job oder Zuhause. Und für diese Balance müssen wir sorgen, immer und überall.

2. Irrtum: Druck erhöht die Leistung

In vielen Unternehmen erhöht sich der Druck auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ständig besser, schneller, effizienter zu arbeiten. Jeder kennt das. Aber, fragt Klein, „was passiert eigentlich genau, wenn wir unter Druck gesetzt werden oder uns selbst unter Druck setzen?“ Klein sagt klar: „Wir versuchen, diesem Druck auszuweichen.“

Dabei gibt es nach seiner Beobachtung zwei Möglichkeiten, mit diesem Druck umzugehen. Die erste, konstruktive Variante, ist, „die Dinge anders zu tun: genauer, direkter, in anderer Reihenfolge, mit besseren Maschinen oder mit externer Hilfe“. Kurz, man organisiert sich neu. „Dadurch“, so Klein, „entsteht eine neue Qualität. Insofern können bestimmte Momente von Überforderung durchaus nützlich sein, um individuell und im Team auf eine andere Ebene zu gelangen.“ Hier wird der Druck als Signal interpretiert, dass etwas Grundlegendes geändert werden sollte. Die daraus entstehende Veränderung bringt dann das Unternehmen wirklich voran.

Es gibt aber auch eine andere, negative, destruktive Reaktion. Die besagt, dass wir ausschließlich einfach nur immer schneller und länger das tun, was wir vorher auch getan haben. Man sucht das Heil in der vermeintlichen Ausdehnung der investierten Zeit. Aber, warnt Klein, „genau das funktioniert nicht: Man kann ein strukturelles Problem nicht durch Geschwindigkeit lösen, auch nicht durch Ausdehnung“. Man muss ihm durch qualitative, im Unternehmensumfeld durch organisatorische, strategische Veränderung begegnen, nicht durch ein blindes „Weiter so – nur schneller und mehr!“ Kleins Begründung: „Wenn der Druck nicht aufgelöst oder eine neue Balance gefunden werden kann, ist die nächste Stufe Hektik, die letzte Stufe Panik.“

Buchcover: "Zeit als Lebenskunst".

Wozu das führt, beschreibt Klein so: „Die Sensibilität des einzelnen Menschen und ganzer Gruppen lässt nach. (…) Es kommt zu Fehldeutungen, Missinterpretationen, Vertrauensverlust und Konzentrationsmangel, weil jemand nicht da ist, wo er ist, sondern schon bei der nächsten Tätigkeit. Das führt zu größerer Fehlerhäufigkeit, zu Fehlentscheidungen, oft verbunden mit einer Fehlerignoranz.“ Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit und Demotivation sind die Folgen. Für den Unternehmenszusammenhalt bedeutet dies Zerstörung, für den wirtschaftlichen Erfolg das Ende.

3. Irrtum: Fertig werden

Jeder kennt die Situation, man will etwas „erst fertig machen“, damit man sich danach der nächsten Aufgabe widmen kann. Aber man wird einfach nicht fertig. Denn es gibt immer etwas zu verbessern. Das gilt für Texte (auch diesen!) genauso wie für Projektarbeit und Freizeitaktivitäten.

Ganz normal, sagt Klein. Denn: „Jede Tätigkeit hat die Tendenz ins Unendliche zu gehen. (…) Das heißt, selbst wenn jemand mit der größten denkbaren Geschwindigkeit tätig ist, kommt er nie automatisch an ein Ende. Das Ende einer Tätigkeit, der Rahmen einer Aufgabe, die Grenze des eigenen Engagements müssen immer von einem selbst definiert und gesetzt werden.“ Die Krux dabei: „Um diesen Rahmen zu setzen, ist jedoch eher Ruhe, Abstand und Klarheit als noch mehr Beschleunigung nötig.“ Ein Teufelskreis: Je mehr ich mich anstrenge, je mehr ich mich beeile, desto eher verliere ich den Überblick. Diese Erfahrung hat wohl jeder schon gemacht.

Und nun? Was bedeutet das für jeden von uns? Woran kann ich erkennen, ob ich es schaffe, wirklich souverän mit meiner Arbeitszeit umzugehen? Dafür schlägt Klein einen geradezu unverschämt banalen – aber wirkungsvollen – Selbsttest vor: Wer entspannt von der Arbeit nach Hause geht oder wer entspannt seine Arbeit beendet, um sich anderen Aktivitäten zuzuwenden, hat es geschafft, während der Arbeit in der eigenen inneren Balance zu bleiben. Klein: „Er hat klare Grenzen gesetzt, hat auf Rhythmus, Umfang, innere Haltung und Qualität geachtet und von daher nicht nur einen inhaltlichen Beitrag geleistet, sondern auch zur (eigenen) Zeitsouveränität beigetragen.“ Fazit: Die Qualität eines Jobs bemisst sich nicht nach der wöchentlichen Stundenzahl, auch nicht nach der hierarchischen Position, sondern zunehmend nach der Möglichkeit für den Mitarbeiter, seine individuelle Balance zwischen An- und Entspannung zu erreichen.

 

Fußnoten:
(1) Der Band „Zeit als Lebenskunst“ von Olaf Georg Klein ist erschienen im Verlag Klaus Wagenbach. Das Taschenbuch hat 240 Seiten. ISBN-13: 978-3803126320.
(2) Die Zitate stammen ausschließlich aus den Seiten 76 bis 81.

Aufmacher- und Teaserfoto: Die astronomische Prager Rathausuhr von 1410, Ausschnitt. Foto (cc) Maros Mraz/Wikimedia.org

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