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Publiziert am 12. Juli 2019 von unter: ,

Zwischenruf im Echoraum: Dialektik der Managementmoden

Die meisten der derzeit diskutierten Prinzipien für moderne Führung und Organisation sind nicht neu, sondern wiederkehrende Moden. Daran ist nichts Verwerfliches: Managementmoden können helfen, Fehlentwicklungen in den Unternehmen zu korrigieren und alte Zöpfe abzuschneiden. Wer aber Moden als Religion anpreist, untergräbt dieses Potenzial und riskiert seine Glaubwürdigkeit.

Bild zeigt Dame, die über eine Straße geht und Luftballons hinter sich her zieht. Bild: ©Vizerskaya/ Getty Images

Managementmoden können helfen, Fehlentwicklungen in den Unternehmen zu korrigieren. Wer aber Moden als Religion anpreist, untergräbt dieses Potenzial und riskiert seine Glaubwürdigkeit. Bild: © Vizerskaya / Getty Images

An dieser Stelle kommentiert Dr. Andreas Stiehler, der als freiberuflicher Analyst, Kolumnist und Berater unter anderem für teknowlogy | PAC tätig ist, regelmäßig Web-Beiträge exklusiv für die Leser des QSC-Blogs. Im Fokus dieses Beitrags: ein Vortrag von Stefan Kühl zu „Agilität, Holacracy und andere Managementmoden“ sowie ein Artikel von Klaus Eidenschink „Zum Sinn und Unsinn von Managementmoden“.

 

Managementmoden: Alle Jahre wieder…

New Work, Agilität, Sinnstiftung, Selbstorganisation, Lean Startup: Die Liste der in Mode gekommenen Buzzwords für (vermeintlich) moderne Organisation und Führung ist in den letzten Jahren gefühlt geradezu explodiert. Auf den ersten Blick eine nachvollziehbare Entwicklung: Die Welt wandelt sich schließlich in rasanter Geschwindigkeit – mit der Digitalisierung als Druckbeschleuniger. Der Übergang von der herkömmlichen Industrie- zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft, der unter anderem vom Management-Vordenker Peter F. Drucker als eine der Kernherausforderungen für die Unternehmenslenker im 21. Jahrhundert identifiziert wurde, nimmt heute spürbar Gestalt an.

Gleichzeitig aber wächst mit jedem neuen Hype auch die Skepsis: Wird hier wieder nur eine neue Sau durchs Dorf getrieben? Gibt sich das Management mal wieder einer neuen Mode hin? Der Soziologe Stefan Kühl hält diesen Verdacht für begründet. In einem erhellenden Vortrag – hier auf YouTube zu sehen – blickt er zurück auf die Managementdiskussion der letzten Jahre und stellt fest, dass die heute vieldiskutierten neuen Prinzipien so neu gar nicht sind. Sie wurden mit ähnlicher Intensität bereits vor zehn oder 15 Jahren verkündet und praktiziert – freilich unter anderen Begrifflichkeiten wie postbürokratische Organisation, Soziokratie, Lean Management und, und, und.

Dabei verweist Stefan Kühl ebenfalls auf den geschätzten Peter F. Drucker, der schon lange vor ihm feststellte: „In the ten years between 1910 and 1920 […] every single one of the great themes of management is struck. […] And almost anything we have done since then, in theory as well as in practice, is only variation and extension of the themes first heard during this decade.“ Zu Deutsch: Die vielfältigen Ausprägungen der Managementlehre, wie wir sie heute kennen, wurden in der Dekade um den 1. Weltkrieg bereits alle intensiv diskutiert und praktiziert – und alles, was danach kam, ist bestenfalls eine Variation oder Erweiterung davon. Wow! Dies ist, gelinde gesagt, ein Nackenschlag für alle Verkünder moderner (Management-)Heilslehren.

 

Dramaturgie des Managementmoden-Ping-Pongs

Zurück zu Stefan Kühl, der weiter ausführt, dass in den Unternehmen seither quasi „Ping Pong“ gespielt wird: Dezentralisierung – Zentralisierung, Hierarchie – Selbstorganisation, Insourcing – Outsourcing usw. All diese gegensätzlichen Managementprinzipien hätten ihre Berechtigung, zumindest in bestimmten Perioden und in einzelnen Bereichen. Allerdings sei deren Realisierung auch mit Kosten verbunden. Klar: Wer Agilität will, nimmt Redundanzen in Kauf, und wer im Sinne der Selbstorganisation an Hierarchien sägt, schafft Raum für Konflikte. Bei der breitflächigen Umsetzung eines solchen Prinzips würden die damit verbundenen Kosten dann irgendwann aus dem Ruder laufen. An diesem Punkt sei die Zeit reif für einen Richtungswechsel, eine neue Mode muss her.

Um nun als Manager oder Berater beim Wechsel von einem vorher mit Vehemenz vertretenen Managementprinzip auf die Gegenseite nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren, müssten neue Begrifflichkeiten her. Das Stilmittel der Wahl, um die Menschen auf den neuen Weg einzustimmen, ist das Drama: aus einer Veränderung wird dann eine „Revolution“– und weil sich auch dieser Begriff in den letzten Jahren abnutzte, sprechen wir heute besser noch von „Disruption“.

Last, not least folgt noch die moralische Aufwertung: Das Neue wird als das Gute, als notwendiger Sprung in der Wirtschaftsentwicklung gefeiert – und die Vorreiter dieser Entwicklung werden als Leuchttürme gepriesen. Einige Jahre später freilich – so die Erfahrung des Soziologen – sei dann von den einstigen Leuchttürmen nur noch wenig zu sehen. Und wenn man (wie er in einigen Fällen) genauer nachsieht, so hat man sich auch dort klangheimlich wieder auf die Gegenspur begeben.

 

Managementmoden als Impulsgeber zu Lasten der Glaubwürdigkeit?!

Abschließend betont Stefan Kühl, dass er Managementmoden als solche nicht verurteilt. Schließlich ließen sich diese gut nutzen, um neue Impulse in die Organisation zu tragen und bestimmte Effekte zu erzielen. Für Berater oder Manager sei es also durchaus sinnvoll, die Welle ein Stück weit mitzureiten – mit nur einer Einschränkung: „Daran glauben darf man nicht!“.

Ich empfehle diesen Vortrag allen Managern, Beratern und Auguren, die heute auf den New-Work-, Agilitäts- oder Holacracy-Wellen reiten. Gleichzeitig regt sich ob des mitschwingenden Zynismus im abschließenden Fazit Widerspruch in mir. Ich frage mich, wie es sich für die Mitarbeiter anfühlt, die dieses (manipulative) Spiel mit den Managementmoden durchschauen beziehungsweise vom ewigen Hü und Hott ermüdet sind? Und was bleibt dann von der Glaubwürdigkeit der Manager und Berater?

Das Spiel mit den Managementmoden mag gut funktionieren, wenn alle 15 bis 20 Jahre die Richtung gewechselt wird. Dann sind es maximal die altgedienten Mitarbeiter, die beim angezeigten Richtungswechsel etwas grummeln, während die Jungen den Wandel herbeisehnen. Allerdings glaube ich, dass die Geschwindigkeit, in der sich die Wandlungsprozesse vollziehen, stetig zunimmt. Wenn meine These zutrifft, also im Zuge der von Hartmut Rosa skizzierten Beschleunigung der Gesellschaft auch die Managementmoden immer häufiger wechseln, dürfte das Spiel mit der Mode über kurz oder lang schließlich auch an der Glaubwürdigkeit der Manager nagen.

 

Das Potenzial der Moden liegt in der „Verbindlichkeit des Vorübergehenden“

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf den lesenswerten Aufsatz „Zum Sinn und Unsinn von Managementmoden“ von Klaus Eidenschink. Der studierte Theologe, Psychologe und Philosoph verweist als Ausgangpunkt zunächst auf die Soziologin Elena Esposito, die Moden als „Verbindlichkeit des Vorübergehenden“ einordnet. Indem die Mode aus der Fülle an Möglichkeiten etwas vorübergehend als verbindlich auswählt, hilft sie uns Menschen, uns zu fokussieren. Ein schöner Gedanke.

Auf die Wirtschaft übertragen, bieten (Management-)Moden laut Klaus Eidenschink die Chance, Themen, Problemstellungen und Zielsetzung zeitweilig aus neuer Perspektive zu betrachten und auf diese Weise Systeme wirksam zu irritieren und Innovationen anzuregen: Bestehende Konzepte werden hinterfragt, „ausgeschlossene, verworfene, übersehene, vernachlässigte oder abgewertete Alternativen kommen plötzlich ins Spiel.“ Moden tragen in diesem Sinne dazu bei, Aufmerksamkeit, Kommunikation und Handlungen bei der Erarbeitung und beim Ausprobieren neuer Alternativen zu koordinieren sowie gleichzeitig alte Zöpfe („die aus der Mode gekommene Hose“) abzuschneiden.

 

Schädliche Nebenwirkungen sind vorprogrammiert, wenn Moden zur Norm erklärt werden

Dass Berater solche Moden aufgreifen, hält der Coaching-Experte für natürlich und nachvollziehbar. Schließlich sei es die ureigene Aufgabe einer Beratung, dem Klienten Möglichkeiten anzubieten beziehungsweise zu präsentieren, die dieser bislang nicht kannte. Soweit zum Idealbild, die Praxis freilich stellt sich zumeist anders dar: „Wenn Berater nun Moden aufgreifen oder sie präsentieren, dann meist nicht in der Haltung ‚So könnte es sein!‘ sondern in der Attitüde ‚So sollte es sein!“. So wird das Neue nicht zum Versuch, sondern zur Norm, zur Richtigkeit, zum Erfolgsgaranten.“

Anders ausgedrückt: „Schädliche Nebenwirkungen“ sind vorprogrammiert, wenn die Mode, wie im klassischen Beratungsgeschäft üblich, nicht als Möglichkeit vorgestellt, sondern als einzig gültige „Wahrheit“, quasi als Religion gepriesen wird, Heilsversprechen inklusive: „Mach Du, Kunde, das, was heute State of the Art ist, und ich führe Dich ins gelobte Land (etwa von New Work)!“

 

Wer als Berater Moden zur Religion (v)erklärt, läuft in die Sackgasse

Mit dieser Haltung würden sich die Berater allerdings auch in eine Sackgasse begeben. Denn: „Wenn […] die eigene Identität an ein modisch, also vorübergehendes, Produkt geheftet wird, kann man an der Ablösung der Mode durch eine andere Mode kein Interesse mehr haben.“ Das bereits von Stefan Kühl skizzierte Spiel kommt wieder in Gang. Um die letzten Zweifler noch hinter sicher zu bringen, wird die Argumentation ethisch und moralisch aufgeladen. Aus dem Neuen wird „das Gute“, der einzig gangbare Weg zur perfekten Organisation beziehungsweise in die für alle Akteure erstrebenswerte neue Arbeitswelt.

Wird dieser Idealzustand nicht erreicht, liegt das (aus Sicht der Beratung) natürlich keinesfalls an einer möglichen Unzulänglichkeit der Methode, sondern daran, dass diese falsch oder nicht konsequent genug umgesetzt wurde. Schließlich kann es ja nur einen richtigen Weg ans Licht geben. Anstatt die Diagnose zu hinterfragen, bietet man also weiter die gleiche Medizin, nur mehr davon, schädliche Nebenwirkungen inklusive. Immerhin wird das Beratungsgeschäft auf diese Weise zumindest kurzfristig noch weiter forciert. Der Apfelbaum blüht noch einmal richtig auf, bevor er stirbt – und der Berater im Anschluss eine neue Mode zur Religion (v)erklärt.

Schade eigentlich. Denn der eigentliche Sinn der Moden, „dass sie vorübergehend (!) Bestehendes anfragen, um Einseitigkeiten zu korrigieren oder Antworten auf veränderte Umweltverhältnisse zu entwickeln“, wird damit aus Sicht von Klaus Eidenschink, die ich teile, untergraben.

 

Wege aus der Sackgasse (1): Mode als Mode (mit Risiken und Nebenwirkungen) erkennen

Aber kann man den von Stefan Kühl und Klaus Eidenschink skizzierten Dynamiken entkommen? Zunächst müssten die Berater oder Manager hierzu selbst eine Mode als Mode verstehen und nicht irgendwelchen Evangelisten auf den Leim gehen. Die perfekte Organisation gibt es nicht, und jedes Managementprinzip bzw. jede neue Methode hat Vor- und Nachteile. Das Erkennen von Risiken und Nebenwirkungen einer angesagten Mode ist auch kein Hexenwerk – vorausgesetzt, dass man willens ist, entsprechende Zwischenrufe im (eigenen) Echoraum zuzulassen und zu erhören.

An dieser Stelle verweise ich gerne auf die (weiteren) Zwischenrufe von Klaus Eidenschink im Rahmen seiner Artikelserie zu Beratermoden. Darin setzt er sich beispielsweise mit Risiken auseinander, die der heute viel diskutierten Sinnzuschreibung von Unternehmen (Stichwort: „purpose-driven organization“) anhaften. In einem weiteren Artikel listet er kritische Fragen auf, die sich die Vertreter der New-Work-Bewegung im Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen stellen sollten. Denn: „Geschieht dies nicht, wird das Neue schnell in Misskredit kommen und es kommt zu Rebound-Effekten.“  Einige Fragen dabei adressieren übrigens auch das Verhältnis von „New Work und Selbstausbeutung“, das an dieser Stelle bereits ausführlich diskutiert wurde.

Schließlich plädiert Klaus Eidenschink in einem nachdenkenswerten Beitrag für eine sorgfältige Begriffsarbeit beim Thema Agilität. Der Agilitätstrend stelle zwar keinen Entwicklungssprung dar, ließe sich aber gegebenenfalls als Antwort auf die Evolution der Gesellschaft, „aus einer klaren, auf Gewissheiten aufgebauten Welt in eine rhizomatische, multikausale Welt“, interpretieren. Eine solche (über eine Mode hinausreichende) Lesart des Agilitätsbegriffs würde allerdings nach sich ziehen, „dass Beratung […] sich nicht vorrangig als Geschäftemacherei versteht, sondern, eher wie die Medizin, als von Forschergeist getriebene Kraft, die gemeinsam mit dem Kunden um Lösungen ringt.“

 

Wege aus der Sackgasse (2): Sich ehrlich machen

Apropos Geschäftemacherei: Wenn Berater und Manager eine Mode als solche erkennen, dann sollten sie diese auch ehrlich als Mode, also als ein Versuch oder eine Möglichkeit benennen – und sich nicht stattdessen gegenüber Kunden und Mitarbeitern als Verkünder einer neuen Heilslehre aufschwingen. Letzteres mag vielleicht kurzfristig das Geschäft ankurbeln. Über kurz oder lang werden die Beratungskunden und Mitarbeiter den Braten jedoch riechen und die Glaubwürdigkeit der vermeintlichen Heilsbringer in Frage stellen. Und Glaubwürdigkeit ist in einer zunehmend komplexen und unsicheren Welt ein rares Gut, das sich zu hüten lohnt.

Mein Credo: Beratungs- beziehungsweise Managementmoden sind per se nichts Verwerfliches. Im Gegenteil: Sie helfen dabei, festgefahrene Systeme wirksam zu irritieren und Innovationen in den Unternehmen voranzutreiben. Allerdings sind schädliche Nebenwirkungen und ein Verlust an Glaubwürdigkeit vorprogrammiert, wenn Managementprinzipien oder -methoden als Religion verkündet und mit Heilsversprechen verbunden werden. Berater wie Manager tun gut daran, Moden als Moden zu erkennen und nicht dem Versuch zu erliegen, ihren Kunden oder Mitarbeitern Moden als neue Heilslehren zu verkünden.

 

Anmerkung: Dr. Andreas Stiehler hat bisher regelmäßig für das QSC-Themenblog „Digitales Wirtschaftswunder“ geschrieben. Wir freuen uns, dass er jetzt auch im Corporate Blog von QSC publiziert. Über die Auswahl und Analyse der Inhalte seiner Blog-Beiträge entscheidet der renommierte Analyst selber.

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