Enterprise 2.0: Weniger Hierarchie, mehr Demokratie
Mit der schnellen Installation von ein paar Social-Media-Tools wird aus einem Unternehmen noch kein Social Enterprise. Zuvorderst gilt es, die Grundlage und eine soziale Unternehmenskultur mit flachen Strukturen zu schaffen. Das wird aber nicht überall gern gesehen. Teil 3 unserer Serie übers Social Business.
Virtuelles Brainstorming, gegenseitig Fragen beantworten, Kollegen mit Know-how finden – die im letzten Blogbetrag vorgestellten Social-Media-Werkzeuge können die Zusammenarbeit von Mitarbeitern gravierend verbessern. Aber es sind keine Heilsbringer. Schon gar nicht genügt es, einfach Facebook- oder Twitter-ähnliche Lösungen zur Verfügung zu stellen – und zu hoffen, alles Weitere regle sich von selbst.
Wer die Social-Media-Einführung rein technisch betrachtet, hat schon verloren. Denn die Technik macht vielleicht 10 oder 20 Prozent des Gesamtaufwands einer Umstellung Richtung Social Enterprise aus. Der Rest besteht in der grundlegenden Umorientierung kultureller und organisationeller Art. Was aber soll das genau heißen?
Grundsätzlich setzt die gewinnbringende Einführung der sozialen Tools eine bestimmte Unternehmenskultur voraus. Die ist in den wenigsten Fällen real gegeben. „Der Einsatz von Social-Media-Werkzeugen zur Mitarbeiterkommunikation bedeutet häufig einen tiefgreifenden Kulturwandel im Unternehmen“, sagt Catharina van Delden vom BITKOM-Präsidium. „Anstatt nur in eine Richtung zu kommunizieren, findet ein Austausch von Informationen und Meinungen quer durch alle Hierarchie-Ebenen statt.“
Unternehmen müssen also ihre internen Abläufe und ihr Management anpassen, wenn sie die Potenziale von Social Media voll ausschöpfen wollen. Der Leitfaden Enterprise 2.0 – Social Software in Unternehmen des BVDW schildert in wenigen Worten, was dies genau bedeutet: „Hierarchische Organisations- und Kommunikationsstrukturen werden abgelöst von vernetzter Projekt- oder themenbasierter Zusammenarbeit. Festgelegte Kommunikationswege werden aufgelöst – stattdessen sorgt individualisierte Information in einem umgekehrten Informationsfluss für relevantes Wissen, wo es benötigt wird; statische Wissensinseln gehen in kollektivem Wissen auf, und zentral gesteuerte Prozesse werden abgelöst von Selbstorganisation und Eigenverantwortung.“
Flache Strukturen
Statt einer hierarchischen, zentralen Mitarbeitersteuerung muss also eine dezentrale, flache und autonome Selbststeuerung von Teams die Kommunikations- und Arbeitsprozesse bestimmen. „Es braucht Organisationen, die zulassen, dass Mitarbeiter ihre Netzwerke aufbauen und womöglich auch mal den Beitrag des Vorstandsschefs kommentieren“, sagt Andreas Stiehler, Principal Analyst bei Pierre Audoin Consultants (PAC).
Für die meisten herkömmlichen Betriebe mit traditionell hierarchischen Stukturen ist das ziemlich starker Tobak. Denn die Kommunikation und Zusammenarbeit über Hierarchiegrenzen hinweg ist für viele Mitarbeiter ungewohnt, vor allem lösen solche Forderungen oft Vorbehalte bei Führungskräften aus. Doch ohne diese Voraussetzung sind Social Tools kaum sinnvoll einsetzbar.
„Deshalb“, so Stiehler, „ist es sehr wichtig, dass die Unternehmensführung Social-Business-Konzepte mitträgt und aktiv unterstützt.“ So empfiehlt es auch der Enterprise-2.0-Report: Die Führung eines Unternehmens muss diese Veränderungen mittragen, heißt es dort, und einen Wandlungsprozess initiieren, wenn der Schritt zu Enterprise 2.0 gelingen soll.
Auch die Mitarbeiter des Unternehmens müssen früh an den Planungsprozessen beteiligt werden, damit eine Begeisterung für den neuen Aufbruch entsteht und die Akzeptanz für die Veränderung auf allen Unternehmensebenen gefördert wird. Sie müssen während der Planungs- und Implementierungsphase erleben, dass die geänderten Bedingungen die Arbeitsprozesse erleichtern und die Effektivität steigern.
Erfolgsfaktoren
Die Experton Group nennt in einer Research Note unter anderem folgende Faktoren, die bei der Transformation in ein Social Enterprise unbedingt umgesetzt werden sollen:
- Den Mitarbeitern müssen neue Freiräume zugestanden werden, die es ermöglichen, moderne, flexiblere Arbeitsweisen, losgelöst von fixen Arbeitszeiten und Orten zu etablieren.
- Die gemeinsame Definition bestimmter Werte und Vorstellung ist von enormer Dringlichkeit. Es muss gemeinsam eruiert werden, was zum Beispiel Vertrauen, erfolgreiches Arbeiten oder eine angemessene Arbeitsatmosphäre für das Unternehmen und die jeweiligen Fachabteilungen und Mitarbeiter bedeutet.
- Social-Media-Ansätze bewirken größtenteils einen Abbau der formellen Hierarchie der Unternehmen. Um tatsächlich effizienzsteigernd zu wirken, gilt es diese Konzepte mit Schulungen an die Mitarbeiter heranzutragen, um somit auch für ein ausbalanciertes Gleichgewicht zwischen formellen und informellen Hierarchien sorgen zu können, was zum besseren gemeinsamen Arbeiten in direkter Form beiträgt.
Michael Chung und Ayush Khanna von der UC Berkeley School of Information haben die Einführungsbarrieren von Enterprise Social Software analysiert und auf Basis mehrerer Fallstudien Empfehlungen zur Einführung entwickelt.
- Einen Meinungsmacher gewinnen: Der Meinungsmacher sollte die Tools nutzen und verstehen, wie sie produktiv eingesetzt werden können.
- Anwendungsszenarios definieren: Anwendern sollten Gründe für die Nutzung von Social Software geliefert werden. Am besten lässt sich dies mit Anwenderscenarien umsetzen.
- Die Anwender verstehen: Nutzer sollten auf Basis von Alter, Fachbereich und anderen Kriterien in verschiedene Typen eingeteilt werden und die Scenarien auf die jeweilige Klientel zugeschnitten werden.
- Eine gute Mischung aus Bottom-up- und Top-down-Vorgehen finden: Die aktive Mitwirkung von Führungskräften und dem Top-Management bei der Einführung von Enterprise Social Software ist erfolgsentscheidend.
Kritische Stimmen
Es gibt allerdings auch kritische Stimmen, die einem Enterprise 2.0 grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen. Thomas Ullrich schreibt z.B. in seinem Blog Kein Enterprise 2.0 – Warum Social Media in Unternehmen nicht funktioniert, dass das Enterprise 2.0 vielleicht in der Theorie, nicht aber in der Praxis funktioniert. Faktoren, an denen die Umsetzung scheitert, sind zum Beispiel:
- Die Meinungsvielfalt wird dadurch behindert, dass meist die Wertschätzung einer Idee an den Status des Ideengebers gekoppelt ist.
- Die Mitarbeiter sind wirtschaftlich vom Unternehmen bzw. ihren Vorgesetzten abhängig.
- Entscheidungen sind auf hierarchische Knotenpunkte zentralisiert.
Zudem werden laut Ullrich Akzeptanz und Nutzung von Social Media in Unternehmen behindert durch:
(a) bereichszentrierte Zielvorgaben (veraltete Bonusstrukturen);
(b) starkes Hierarchiedenken und Rücksichtnahme auf Hoheitsgebiete und Befindlichkeiten (Silodenken) sowie
(c) Ängste, nicht mehr gebraucht zu werden oder die eigene Position zu verschlechtern, wenn man als Experte sein Spezialwissen preisgibt oder auch vor Sanktionen, wenn Mitarbeiter „ihre Finger in die Wunden übergeordneter Hierarchieebenen“ legen.
Insgesamt widersprechen diese Aspekte einer wertschöpfenden Nutzung von Social Software in Unternehmen nachdrücklich, schreibt Ullrich. Zudem lassen sich die kritischen Rahmenbedingungen durch die Einführung von Social Software auch nicht verändern.
Positives Fazit
Der Aufsatz stammt allerdings aus dem Jahr 2012. Inzwischen hat die Praxis gezeigt, dass Social Business – zumindest ansatzweise und in größeren Betrieben – funktioniert. Laut der BITKOM-Studie Einsatz und Potentiale von Social Business für ITK-Unternehmen gaben 73 Prozent der befragten 161 deutschen Unternehmen an, dass sich mit Social Media der Austausch von Wissen innerhalb der Organisation verbessert hat. 72 Prozent fördern mit Social Media generell die Kommunikation unter den Mitarbeitern. 54 Prozent haben neue Formen der Zusammenarbeit (Collaboration) eingeführt und 50 Prozent verzeichnen eine bessere Kommunikation innerhalb von Projektteams. Und immerhin 37 Prozent der Unternehmen geben an, dass sich mit der Nutzung sozialer Medien Mitarbeiter stärker an Entscheidungen des Managements beteiligen.
Der BITKOM zieht ein positives Fazit: „In der Shareconomy wird das Teilen von Informationen und Wissen zu einem strategischen Wettbewerbsfaktor“, sagt BITKOM-Präsident Prof. Dieter Kempf, gibt aber gleichzeitig zu bedenken: „Es zeichnet sich ab, dass sich mit der Verbreitung sozialer Medien die Anforderungen an das Management ändern. Eine offene Kommunikationskultur verlangt nach Beteiligung, Integration und Feedback durch die Führungskräfte.“
Lesen Sie von Klaus Manhart auf dem QSC-Blog auch …
… Teil 1 und 2 der Serie übers Social Business:
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Beitrags- und Vorschaufoto: „communication“ © Julien Eichinger – Fotolia.com.
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