Serie zu Psychologie des digitalen Wandels – Teil 1
Der digitale Wandel ist für traditionelle Unternehmen eine Herkulesaufgabe, dem das sprichwörtliche „Beharrungsvermögen“ gestandener Organisationen entgegensteht und die sich nicht mit klassischen Change-Management-Methoden lösen lässt. Besser wäre es, Psychologen und Hypnotiseure zu konsultieren.
In den Kickoff-Veranstaltungen der Unternehmen im Jahr 2017 dürfte wieder viel vom „Wandel“ die Rede sein – so wie bereits bei den Kickoffs 2016, 2015… Gähn! Und dabei ist ein Wandel doch dringend angezeigt. Erfindergeist, Präzisionsarbeit und effiziente Prozesse reichen eben nicht mehr aus, um im schnelllebigen digitalen Wettbewerb zu bestehen. Der heute geforderten Agilität und Kundenzentrierung stehen diese traditionellen Tugenden deutscher Unternehmen teilweise sogar entgegen.
Die meisten Führungskräfte – dies zeigen nahezu alle Studien von PAC – befürworten einen Wandel. Aber die von ihnen als notwendig erkannten Maßnahmen werden vielfach nicht (ausreichend) umgesetzt. Und wenn die digitalen Versuche wiederholt ins Leere laufen, bleibt von der ursprünglichen Aufbruchstimmung nur wenig übrig. Die Digitalisierung nervt dann nur noch.
Gewachsene Unternehmenskultur wirkt als Hemmschuh
Klar ist: Etablierte Unternehmen sind keine Start-ups, die im Zuge der Digitalisierung aus dem Boden sprossen und von daher ohnehin schon über eine „digitale DNA“ verfügen. Stattdessen besitzen sie eine gewachsene, aus den Erfahrungen der Vergangenheit gespeiste Unternehmenskultur, die sich nur schwer verrücken lässt. Wenn ein Unternehmen die letzte Krise erfolgreich bestanden hat, indem die Prozesse gestrafft, die Hierarchien gestärkt und die Kontrollmechnismen ausgebaut wurden, dann neigt es im anstehenden Wandel dazu, diese Mittel wieder zu bemühen – ganz gleich, ob sie taugen oder nicht.
Und selbst wenn neue Methoden und Konzepte zum Einsatz kommen, so werden diese oft nur halbherzig umgesetzt bzw. mit großem Argwohn betrachtet. Ein paar Misserfolge reichen dann schon aus, um das schönste Transformationsprojekt zum Scheitern zu bringen. Mehr noch: Viele Mitarbeiter und Führungskräfte fühlen sich daraufhin noch in ihrem Argwohn bestätigt, was das Festhalten an der traditionellen Unternehmenskultur weiter bestärkt.
Klassisches Change Management scheitert
Klar ist auch: Mit einem traditionell durchgetakteten Change Management lässt sich diese Endlosschleife aus selbsterfüllenden Erwartungen nicht durchbrechen. Frank Schabels Blogbeitrag mit dem Titel „Good bye, Change Management“ ist aus dieser Perspektive für mich gut nachvollziehbar. Der Organisationsexperte setzt alternativ dazu „auf die kleinen Verschiebungen im Alltag, die sich eher dezentral, auf der Ebene von Teams und Abteilungen abspielen“. Auch das kann ich nachvollziehen.
Aber reicht das aus? Sicher wäre schon enorm viel gewonnen, wenn – wie von Frank Schabel gefordert – Führungskräfte ihren Mitarbeitern mehr Vertrauen schenken, Anstöße aus den Teams wohlwollend begleiten und so einen Kulturwandel überhaupt zulassen. Allerdings gibt es auch unter den Mitarbeitern ein ganz natürliches Beharrungsvermögen und die Team-Dynamik steht Innovationen bzw. Innovatoren nicht unbedingt aufgeschlossen gegenüber.
Psychologen und Hypnotiseure sind gefragt
Vor diesem Hintergrund ist es sicher kein Zufall, dass auf Veranstaltungen für Führungskräfte immer häufiger Experten für die menschliche Psyche zu Wort kommen – und deren Vorträge dort regelrecht begeistert aufgenommen werden.
Bei den Kundenveranstaltungen von Damovo und Genesys | Interactive Intelligence hatte ich selbst die Gelegenheit, den Ausführungen des Psychologen Dr. Stefan Frädrich zur „Motivation, die wirkt“ und des Hypnotiseurs Alexander Hartmann zu „Reality Hacking – Wie unsere Gedanken unsere Realität verändern“ zu folgen.
Dabei fiel mir auf, dass sich die Ausführungen der beiden Referenten in der Grundidee nahezu gleichen. Im Fokus steht das Unterbewusstsein, das im Vortrag von Dr. Frädrich als „innerer (Schweine-)Hund Günter“ und in dem von Alexander Hartmann als „innerer Elefant“ Einzug hält. Und beide Referenten beschrieben im Verlauf ihres Vortrags eben jene Endlosschleifen aus selbsterfüllenden Erwartungen, die wir häufig als „Schicksal“ oder auch „Macht der Gewohnheit“ hinnehmen.
Die Kunst der Motivation oder das Geheimnis der Hypnose bestehe nun darin, mit dem Hund oder dem Elefanten aktiv ins Gespräch zu kommen und sie zu einem Ausbruch aus der Routine zu bewegen.
Selbsterfüllende Erwartungen bestimmen unser Denken
Wie solche Endlosschleifen aussehen und wo die neuralgischen Punkte für einen Ausbruch liegen, veranschaulicht Alexander Hartmann in einem einfachen Schaubild, das er als „Reality Loop“ bezeichnet.
Es besteht im Kern aus vier Feldern:
- Die Imagination, also unser Denken und unsere Vorstellungen, in denen wir unsere Wünsche und Ziele ebenso wie unsere Zweifel und Ängste hineinprojizieren, wirkt auf die…
- Physiologie – also auf unsere Sinne und unseren Körper.
- Aus diesem Zusammenspiel entsteht Erfahrung, die – je nach Wahrnehmung und Bewertung – …
- unsere Glaubenssätze bestärkt, abschwächt oder gar verändert – und die wiederum auf unsere Imagination wirken.
Wir alle kennen solche Loops aus eigener Erfahrung – im Negativen wie im Positiven: Wenn wir an den Erfolg einer Lösung oder einer Verkaufsstrategie glauben (Imagination), gehen wir selbstbewusst auftretend mit ansteckendem Optimismus in das Meeting (Physiologie). Allein dieser Auftritt erhöht die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs und selbst kleine Fehltritte interpretieren wir dann eben als Lernerfolg. Schlussendlich nutzen wir diese Erfahrungen für die Bestärkung unserer Glaubenssätze, die wiederum auf die Imagination wirkt.
Umgekehrt funktioniert das natürlich genauso. Unsere Psyche ist eben so konstruiert. Das klingt zunächst ziemlich frustrierend – so wie die vielen vergeblichen Versuche, das Gewicht zu reduzieren, Sport zu treiben oder das Leben familienfreundlicher zu gestalten, frustrierend sind.
Wir können aus der Endlosschleife ausbrechen, dabei ist Führung wichtig!
Allerdings – so die positive Botschaft der beiden Referenten – sind wir diesem Mechanismus nicht hilflos ausgeliefert. Wir können aus der Schleife ausbrechen und auf alle vier Felder aktiv einwirken – und dies ganz ohne Esoterik, indem wir uns einfach einige Erkenntnisse der modernen Neurowissenschaften zu Nutze machen.
Ersetzt man schließlich den Elefanten bzw. Schweinehund durch Firmenkultur, die Imagination durch Vision sowie die Physiologie durch Organisation und Infrastruktur, dann erscheint auch die Rolle der Führungskräfte in einem ganz neuen Licht. Sie können den digitalen Wandel forcieren, in dem sie die vier Felder aktiv adressieren und den Mitarbeitern so dabei helfen, aus tradierten Denk-und Verhaltensmustern auszubrechen.
Welche Tipps die Neurowissenschaften hierfür bereithalten und inwieweit sich diese in die Unternehmensrealität übertragen lassen, wird im nächsten Artikel diskutiert.
Zunächst freue ich mich auf Ihre Kommentare. Welche Erfahrung sammeln Sie mit dem digitalen Wandel im Unternehmen, mit der Realisierung von Change-Management-Maßnahmen und mit dem Beharrungsvermögen in Organisationen?
Weiterführende Inhalte:
Psychologie des digitalen Wandels – Teil 2
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Digitales-Wirtschaftswunder.de, dem Themenblog der QSC AG