Zwischenruf im Echoraum! Resonanzfähigkeit als Maßstab
Das angestammte mechanistische Führungsverständnis führt angesichts des steigenden Veränderungsdrucks über kurz oder lang in die Sackgasse. Eine Führung, welche die Resonanzfähigkeit als Maßstab betrachtet, wäre angezeigt – setzt aber bei den Führungskräften ein Umdenken voraus.
An dieser Stelle empfehlen und kommentieren Analysten von PAC regelmäßig Web-Beiträge exklusiv für die Leser von Digitales-Wirtschaftswunder.de. Heute im Fokus: „Führen in Resonanz: Resonanzfähigkeit als Grundlage einer neuen Führungspraxis“ von Dr. Torsten Breden, Gründer und Geschäftsführer der Management-Beratung fibonacci & friends.
Steigender Anpassungsdruck lässt Organisationen verstummen
Wer sich mit Dr. Torsten Bredens Beitrag zur Resonanzfähigkeit als Grundlage einer modernen Führung auseinandersetzen will, sollte etwas Zeit mitbringen. Der Artikel ist zwar sehr gut geschrieben, fordert jedoch die ganze Aufmerksamkeit. Schließlich stellt sich die vom Autor geführte fibonacci & friends als „Beratung für neues Denken“ vor. Und ein neues Denken lässt sich nicht in drei Minuten mit fünf Stichpunkten à la „Was bei der digitalen Transformation zu beachten ist“ vermitteln.
Aber die Lektüre lohnt sich – auch und insbesondere für Führungskräfte, die bei der Verkündung des x-ten Change-Projekts nur noch in leere Gesichter überforderter Mitarbeiter blicken. Im ersten Teil seines Beitrags beschreibt Torsten Breden eben jenen Zustand, den so viele Unternehmenslenker im Zuge des digitalen Wandels beklagen: Mitarbeiter, Führungskräfte und Unternehmen entfremden sich immer mehr voneinander. Diese Entfremdung wurde zuletzt in der Hays Wissensarbeiterstudie 2017 ebenso wie in Capgeminis „Cultural Change Studie“ diagnostiziert.
Den Auslöser hierfür sieht Torsten Breden in der stark steigenden Veränderungsgeschwindigkeit. „Aus der ehemals vereinzelt auftretenden Notwendigkeit einer Anpassung der Unternehmenskultur, der Unternehmensstrukturen und -prozesse an externe Entwicklungen und Veränderungen ist heute ein Management des permanenten Wandels geworden.“ Die meisten Manager würden diesen Befund heute wohl ohne zu zögern unterschreiben. Aber wie darauf reagieren? Augen zu und durch?
Die Folgen des „Weiter so, nur etwas schneller & agiler“ sind bereits spürbar und man kann sie wohl kaum besser als Torsten Breden in Worte fassen: „Menschen können den verordneten, pausenlosen Wandel nicht mehr verarbeiten oder gestalten. Entscheidungen, die in den obersten Etagen der Hauptquartiere getroffen werden, können von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht mehr nachvollzogen werden. Der Aufruf zum Wandel wird indifferent und leer. Die Akteure auf allen Ebenen der Organisation verstummen, gehen in einen blinden Erfüllungsgehorsam über und verschließen sich voreinander. […] Aus einer vitalen Organisation ist eine Gemeinschaft beziehungsloser Beziehungen geworden.“
Hartmut Rosa: Resonanz statt Ressourcenmaximierung
Kommt Ihnen dies bekannt vor? Falls ja, dann lohnt sich die Lektüre des gesamten Artikels. Torsten Breden skizziert darin eine Alternative zum klassischen Führungsverständnis, die auf die Resonanzfähigkeit von Organisationen fokussiert. Dabei definiert er „Resonanz“ als „das Gefühl, das Menschen haben, wenn sie mit sich selbst, mit anderen, mit Objekten oder ihrer Umgebung in einer guten Verbindung oder im Einklang stehen. Es ist ein Gefühl des Lebendig-Seins, Angenommen-Seins und Aufgehoben-Seins. Dieses Gefühl tritt in Situationen auf, in denen sich Menschen anerkannt und als selbstwirksam erleben.“
Als theoretisches Grundgerüst nutzt der Autor die Resonanztheorie des bekannten Jenaer Soziologen Hartmut Rosa (hier im Gespräch mit Richard David Precht), der vielen Lesern bereits als Autor des Bestsellers „Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstruktur in der Moderne“ bekannt ist. In seinem daran anschließenden Werk „Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung“ befasst sich Hartmut Rosa nun mit der Frage, wie ein gutes Leben – jenseits der Beschleunigungsfalle – aussehen bzw. gelingen kann.
Demnach führt unser Streben nach Welterreichbarkeit in die Beschleunigungsfalle – und in der Folge auch zu einer Entfremdung von der Welt. Wir akkumulieren immer mehr Mittel (Geld, Bildung etc.), um die Welt zu erfahren, und verlieren im Streben danach gleichzeitig den Bezug dazu, was in Frust und Unglück mündet. Stattdessen sollten wir uns auf die Qualität der Weltbeziehungen, für die Rosa den Begriff der Resonanz einführt, fokussieren.
Meditieren allein schafft keine Innovation
Hartmut Rosas Resonanztheorie erinnert auf den ersten Blick an den Achtsamkeitstrend, der derzeit – forciert durch Apple, Google und Co. – auch im Unternehmenskontext immer populärer wird. Achtsamkeit ist wichtig, allerdings – und hier bin ich ganz bei H. Rosa – lässt sich die Qualität von Beziehungen nicht im Alleingang beeinflussen. Dass Achtsamkeit nicht zwingend in Resonanz münden muss, in einem resonanzfreien Raum sogar regelrecht nerven kann, bringt u. a. der Organisationsberater Frank Schabel in einem Blogbeitrag zu „Achtsamkeit – die neue Gemeinde“ auf den Punkt.
Kurzum: Meditieren allein reicht nicht aus, um angesichts des steigenden Beschleunigungsdrucks ein Unternehmen auf der Erfolgsspur zu halten. Die so dringend benötigten Innovationen entstehen nicht durch „Ommms“. Hierzu bedarf es Austausch und Reibung, also der Interaktion von Mitarbeitern, die ihr Unternehmen als eigenes Projekt begreifen – und dies in einem Rahmen, in dem sich die Akteure gleichermaßen aufgehoben und wirksam fühlen.
Resonanz im Fokus eines neuen Führungsverständnisses
Zurück zu Torsten Breden, der aus Hartmut Rosas Resonanztheorie ein neues Führungsverständnis ableitet: „Je besser es gelingt, Resonanzverhältnisse zwischen den Akteuren einer Organisation zu stiften, umso höher ist die Fähigkeit der Organisation, selbstregulierend nach Massgabe ihrer Struktur auf Umweltveränderungen adäquat reagieren zu können.“ Als Gegenstück dazu sieht der Autor das klassische, mechanistische Führungsverständnis, dessen Fokus auf der Verfügbarmachung von Ressourcen und Optimierung des Ressourceneinsatzes liegt. Der Mensch wird hier letztlich primär als Ressource und nicht als Gestalter betrachtet – die Resonanz bleibt also auf der Strecke.
Wie aber lassen sich Resonanzverhältnisse stiften? Als vordringlichste Aufgabe sieht Torsten Breden die Schaffung eines emotionalen Schutzraumes. Führungskräfte sollten sich zum Ziel setzen, starke zwischenmenschliche Bindungen (Resonanzachsen) zu etablieren bzw. zu erhalten. Die Menschen sollten sich schlussendlich in der Organisation getragen und sogar geborgen fühlen, um ihren Gestaltungswillen ausschöpfen zu können. Da gehe ich mit: Materielle Not macht vielleicht erfinderisch, emotionale Not dagegen führt in die Erstarrung.
Um aber als Resonanzförderer tätig zu sein, sollten die Führungskräfte laut Torsten Breden zunächst das eigene Verhalten sowie die zugrundeliegenden mentalen Modelle und Überzeugungen gründlich hinterfragen. Denn mit einem rein mechanistischen Verständnis ließe sich keine Resonanz herstellen. Schließlich spielen jenseits von Ursache-Wirkungs-Mechanismen Emotionen und Gefühle eine wesentliche Rolle. Es menschelt eben – und dies auch im wirtschaftlichen Kontext!
Mehr noch: Wir alle, ob Führungskräfte oder Mitarbeiter, handeln nicht so rational, wie wir zuweilen selbst meinen. Um Resonanzverhältnisse zu fördern, sollten sich die Führungskräfte deshalb zunächst der vielen „Verzerrungen“ im eigenen Entscheidungsverhalten, ob Priming-Effekte, Affektheuristiken oder Verfügbarkeitsfehler, bewusst werden. Meine volle Zustimmung! Den Zweiflern empfehle ich einen Blick in den Bestseller „Schnelles Denken, Langsames Denken“ des Nobelpreisträgers Daniel Kahnmann.
Organisationsmodell ohne Erfolgsgarantie
Ich glaube, den meisten Führungskräften sind diese Anforderungen „theoretisch“ und „gefühlt“ längst klar. Torsten Breden lässt es jedoch nicht bei theoretisch fundierten Erkenntnissen und der gefühlten Notwendigkeit bewenden – vielmehr skizziert er im weiteren Beitrag einen gut vermittelbaren und praktisch umsetzbaren Organisations- und Beratungsansatz. Dabei werden auch Prozesse, technische Arbeitsumgebungen und agile Methoden als gestalterische Elemente betrachtet – im Mittelpunkt steht jedoch, anders als in der klassischen Management- oder Prozessberatung, der Mensch und die menschliche Beziehung.
Und anders als klassische Management-Berater gibt der Autor keine Erfolgsgarantie: „Die Grundannahme, durch gezielte Handlungen eine messbare Wirkung zu erzeugen, die dem mechanistischen Führungsmodell zugrunde liegt, muss in Hinblick auf die Schaffung von Resonanzverhältnissen aufgegeben werden.“ Stattdessen solle die Führung fortlaufend daran arbeiten und immer wieder Anpassungen durchführen.
Resonanzfähigkeit ist kein Verkaufsschlager, sie muss gewollt sein
Diese Einschränkung ist zwar einerseits nachvollziehbar, andererseits aber auch die größte Herausforderung: Wer den Weg der Resonanz einschlägt, der muss schon im Vorfeld einen mentalen Wandel vollziehen – und sich auf die damit verbundene Unsicherheit einlassen. Mechanistische Ansätze versprechen dagegen zumindest „sichere“ Teilerfolge (Erreichung Milestones, KPIs etc.) – auch wenn wir ahnen, dass das neue Change-Programm im Endeffekt genauso wenig bewirken wird wie das letzte. Kurz gesagt: Einfache lineare, vermeintlich rationale Problemlösungen lassen sich besser verkaufen als ganzheitliche Beratungsangebote.
Umso wichtiger erscheint mir, dass Notwendigkeit, Mehrwerte und Realisierbarkeit moderner, stärker verhaltensbasierter Beratungs- und Organisationsansätze verdeutlicht werden. Das ist Torsten Breden aus meiner Sicht gelungen. Aber schauen Sie gerne selbst und teilen Sie Ihre Sicht. Ich freue mich auf Ihre Resonanz!
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Digitales-Wirtschaftswunder.de, dem Themenblog der QSC AG