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Publiziert am 12. Juni 2019 von unter: ,

Zwischenruf im Echoraum: Scheingefechte um Generation Y!?

Die in der Generation-Y-Debatte bemühten Stereotype sind wissenschaftlich nicht haltbar. Nicht die Generation Y nervt, sondern die in deren Namen geführte Stellvertreterdiskussion. Anstatt Generationenkonflikte herbeizureden, sollten wir besser miteinander streiten – und uns gemeinsam den wirklich drängenden Problemen widmen.

Bild: © E. Audras / Getty Images

Bild: © E. Audras / Getty Images

An dieser Stelle kommentiert Dr. Andreas Stiehler, der als freiberuflicher Analyst, Kolumnist und Berater unter anderem für teknowlogy | PAC tätig ist, regelmäßig Web-Beiträge exklusiv für die Leser des QSC-Blogs. Im Fokus dieses Beitrags: „Generation Y – Du nervst“ von Uwe Sunkel.

 

Generation Y-Diskussion garantiert viel Aufregung – und hohe Klickraten

Sie haben gerade keine wirklich wichtigen Themen auf dem Tisch, befinden sich im Mittagstief oder haben einfach nur Lust, sich mal wieder so richtig aufzuregen? Dann lade ich Sie herzlich zur Lektüre dieses Artikels ein!

Es ist sicher nicht der erste Beitrag, den Sie zur Generation Y-Debatte lesen. Und es wird auch nicht der letzte sein, die sozialen Netzwerke sind schließlich voll davon. Alleine auf XING werden circa 1.200 News-Quellen zum Stichwort „Generation Y“ ausgewiesen. Und das manager magazin hat gerade eine 6-teilige Podcast-Serie mit dem Titel „Babyboomer vs. Millennials: Generationenkonflikte im Job“ aufgelegt. Gemessen an der Fülle an Beiträgen in den Medien scheint das Thema hochbrisant. Aber ist dem wirklich so?

 

Gen Y ist ein Phantom: Die bemühten Stereotype sind wissenschaftlich nicht haltbar!

Tatsächlich nehme auch ich deutliche Unterschiede in der Anspruchshaltung zwischen unterschiedlichen Personengruppen innerhalb meines Freundes- und Bekanntenkreises wahr, wobei die meisten meiner Freunde und Bekannten alle der gleichen Generation entstammen. Die Sozialisation – so scheint mir – ist für Werte, Einstellungen und Anspruchshaltung deutlich prägender als das Geburtsjahr. Im Berufsleben wiederum erlebe ich genauso viele Babyboomer, die neuen Technologien und modernen Organisationsformen aufgeschlossen gegenüber stehen, wie Millennials, die nach Führung und Struktur suchen.

Mit dieser Wahrnehmung bin ich nicht allein, sie steht vielmehr im Einklang mit zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Die Studie „Wertewandel Arbeiten 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), beispielsweise, stellte nach Durchführung von 1.200 Tiefeninterviews fest: „Die Ansprüche an Arbeit pluralisieren sich stark und das über soziodemografische Trennlinien wie Einkommen oder Ausbildung hinweg. Was für die einen wünschenswerte Zukunft ist, stellt für die anderen ein bedrohliches Szenario dar.“ Anders ausgedrückt: Die Studienmacher stoßen auf sehr unterschiedliche Einstellungen und Werte, die sich aber nicht mit den gängigen Zuschreibungen à la Generation X,Y oder Z erklären lassen.

Ausgehend von den Ergebnissen der Studie fordert Peer-Oliver Villwock vom BMAS ein Umdenken: „Für Arbeitgeber und Führungskräfte ist es wohl an der Zeit, den Glauben an eine Generation Y oder andere homogene Gruppen hinter sich zu lassen. Die Arbeitswelt ist einfach komplexer und schnelllebiger, die Vorstellungen von guter Arbeit sind vielfältiger.“

Zu dem gleichen Ergebnis kommt der Marburger Soziologe Martin Schröder, der laut FAZ eigentlich ein Buch über die Generation Y schreiben wollte, dafür aber schlicht keine Evidenz in den Daten fand und als Konsequenz eine großangelegte Studie zum Thema „Generationenmythos“ durchführte. In diesem Rahmen wertete der Forscher mehr als eine halbe Million Antworten von 76.000 Menschen aus, die in den letzten Jahren für das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) befragt wurden. Im Ergebnis entpuppt sich die Generation-Y-Debatte als ein Mythos: „Gerade in Bezug auf die Wichtigkeit von Selbstverwirklichung“ gibt es laut Schröder „kaum systematische Unterschiede des Antwortverhaltens verschiedener Geburtenkohorten“.

Der FAZ-Beitrag mit dem Titel „Die Generation Y ist ein Phantom“ verweist darüber hinaus noch auf eine aktuelle Studie des Instituts für Angewandte Arbeitswissenschaft in Düsseldorf, die im Ergebnis ebenso mit „den pauschalen Zuschreibungen an die Generation Y“ aufräumte. Der Beitrag schließt damit, dass sich laut den Forschern zwar ein allgemeiner Wertewandel nicht ausschließen lasse. Einige Indikatoren wie der wachsende Wunsch vieler Menschen nach flexiblerer Arbeit und einer allgemeinen Reduktion der Arbeitszeit würden dafür sprechen. Aber dieser Trend, sollte er sich denn als solcher manifestieren, beträfe dann alle Menschen.

 

Die „Generationen-Industrie“ treibt das Thema trotzdem weiter

Ich fasse zusammen: Es gibt genügend Belege von seriösen Wissenschaftlern und renommierten wissenschaftlichen Institutionen, welche die Generation Y oder besser die ihr zugeschriebenen Stereotype klar als einen Mythos benennen. Dennoch werden zu diesem Thema in steigender Anzahl Bücher publiziert, Workshops durchgeführt und Beratungsangebote konzipiert.

Prof. Hannes Zacher, Arbeitspsychologe an der Universität Leipzig, klagt in diesem Zusammenhang in einem Beitrag für den MDR über „Geschäftemacherei“. Mittlerweile habe sich eine ganze „Generationen-Industrie“ herausgebildet. „Die wissenschaftliche Evidenz, die methodische Qualität der Studien“, auf welchen diese Angebote aufsetzten, sei jedoch „äußerst fragwürdig.“ Um weiterem Missbrauch vorzubeugen, plädiert er dafür, die Generationenforschung auszusetzen, bis die methodischen Probleme geklärt sind.

Doch bis es soweit ist, werden die im Zuge dieser Debatte viel geschmähten Babyboomer noch weitere diffamierende Zuweisungen von vermeintlichen Generationenexperten über sich ergehen lassen müssen. So wie von Winfried Neun, CEO der Managementberatung K.O.M., der in einem aktuellen Beitrag für Focus Online darüber dozierte, „Wie Babyboomer mit ihrem Leistungsdenken den Mitarbeitern die Hölle heiß machen“. Mehr Stereotypisierung in einem Artikel geht kaum. Abschließend gibt der „Focus Online-Experte“ den Führungskräften noch ein paar wohlmeinende Ratschläge im Umgang mit den Mitarbeitern der Generation Y und Z an die Hand. Na prima!

 

Ein HR-Berater gerät in Wut – und geht damit der Phantom-Debatte selbst auf den Leim

Dass dem HR-Berater und Manager Uwe Sunkel bei solchen Artikeln ebenso wie bei der aktuell vom Human Resources Manager angestoßenen Diskussion zur Frage „Wie sich Unternehmen für Generation Why wandeln müssen“ die Hutschnur hochgeht, kann ich bestens nachvollziehen. Seinen Beitrag „Generation Y – Du nervst“, in dem er sich nun all seinen Frust über diese vermeintlich verzogene, undankbare und arbeitsfaule Generation von der Seele schrieb, halte ich dagegen für wenig zweckdienlich.

Die Unternehmen, so meint er als Essenz seiner Wutrede, reagierten viel zu weichgespült – und dies nicht nur hinsichtlich der Gen-Y-, sondern auch der New-Work-Debatte. Schließlich würde darin mit Verweis auf Frithjov Bergmann postuliert, man solle nur einer Arbeit nachgehen, die „man wirklich, wirklich will“ – eine Geisteshaltung, für die Uwe Sunkel kein Verständnis aufbringen kann. Denn es sei ja nicht die Aufgabe der Unternehmen, „jedem Mitarbeiter seinen eigenen Spa-Bereich zu bauen“.

Dies mag ja sein. Doch indem Uwe Sunkel in der Argumentation die üblichen Stereotype (verwöhnt, undankbar, arbeitsfaul) bemüht und seinen Frust vornehmlich an Vertretern dieser Generation ablädt, geht er der Gen-Y-Phantom-Debatte selbst auf den Leim. Anstatt die verfehlten Annahmen zu hinterfragen, setzt er zur polemischen Gegenrede an. Damit bauscht er die Diskussion, die er in seinem Artikel selbst als schädlich für die Unternehmen einstuft, nur emotional auf. Hierzu passt auch, dass er die New-Work-Bewegung immer noch auf die (zweifellos unsägliche) Forderung nach Kickertischen und Plüschsofas reduziert, obwohl die Diskussion hierzu schon deutlich weiter fortgeschritten ist.

 

Nicht Gen Y nervt, sondern die mit Verweis darauf geführte Stellvertreterdiskussion!

Tatsächlich ist es nicht die vermeintliche Anspruchshaltung der Generation Y, die nervt, sondern die mit Verweis auf diese Generation geführte Stellvertreterdiskussion. Ähnlich einer klassischen Familienzankerei, die auf dem Kopf der Kinder ausgetragen wird: Wenn Mama oder Papa für eigene Forderungen kein sachliches Argument zur Hand haben, werden eben die Kinder beziehungsweise deren Wünsche vorgeschützt. Schlussendlich streitet man dann über die Anspruchshaltung der Kinder, obwohl diese mit dem eigentlichen Problem nur wenig zu tun hat.

Bezogen auf die Gen Y-Debatte meine ich: Natürlich müssen sich Unternehmen wandeln – aber nicht, weil es Generation Y oder Z so wollen, sondern weil sich das Umfeld ändert. Ein höheres Maß an Selbstorganisation ist keine explizite Forderung der verwöhnten Millennials, sondern angesichts des zunehmend komplexen Geschäftsumfelds vielfach eine wirtschaftliche Notwendigkeit.

Darüber gibt es zahlreiche Belege dafür, dass sich heute ein Großteil der Mitarbeiter – ganz gleich welcher Generation – eine bessere Work-Life-Balance und sinnstiftende Arbeit wünscht. Dass solche Forderungen heute verstärkt auf den Tisch kommen, liegt weniger am Heranwachsen einer neuen Generation an Mitarbeitern, sondern vielmehr an den sich ändernden Kräfteverhältnissen im Arbeitsmarkt und der rasanten Technologienentwicklung, in deren Folge sich diese Forderungen einfacher durch- beziehungsweise umsetzen lassen.

 

Menschen, die sich und das System kritisch hinterfragen, werden dringend gebraucht

Schließlich kann ich – im Gegensatz zu Uwe Sunkel – nichts Schlimmes dabei finden, dass sich heute mehr Menschen, ganz gleich welcher Generation, darüber klar werden und formulieren (wollen), „was sie wirklich, wirklich wollen“. In den Unternehmen brauchen wir schließlich keine stupiden Befehlsempfänger mehr, sondern selbstbewusste Mitarbeiter. Ich stimme dem HR-Berater zu, wenn er meint, dass „Mitarbeiter und Unternehmen zusammenfinden müssen, ohne sich gegenseitig zu verbiegen.“ Allerdings haben sich im Industriezeitalter allzu oft die Mitarbeiter verbiegen müssen, eben weil es die Wirtschaft erforderte und die Kräfteverhältnisse im Markt dies erlaubten. Man sollte nicht darüber jammern, wenn sich dies nun ändert.

„Wer nicht zueinander passt, der sollte auch nicht miteinander arbeiten“, meint Uwe Sunkel. Dies mag in der Konsequenz so sein. Doch zunächst sollten wir uns darum bemühen, einen Interessenausgleich zwischen den unterschiedlichen Personengruppen herzustellen, die Perspektiven der anderen zu verstehen und voneinander zu lernen. Wer Innovationen will, sollte Diversität feiern.

 

Credo: Mehr zuhören, weniger Scheingefechte – es gibt dringendere Probleme!

Kurzum: Ja, man muss (und sollte) den jungen Wilden nicht jeden Wunsch von den Lippen ablesen und für sie „Spa-Bereiche“ schaffen. Aber wir sollten ihnen zuhören, mit ihnen streiten und sie dabei nicht pauschal als verzogen und arbeitsfaul verunglimpfen. Ein unsinniger, von Stereotypen geprägter Generationenstreit ist das letzte, was Unternehmen im digitalen Wandel gebrauchen können.

Und nun, liebe Leser, lassen Sie uns wieder den wirklich drängenden Fragen zuwenden – gemeinsam zum Wohl unserer Kunden.

 

Anmerkung: Dr. Andreas Stiehler hat bisher regelmäßig für das QSC-Themenblog „Digitales Wirtschaftswunder“ geschrieben. Wir freuen uns, dass er jetzt auch im Corporate Blog von QSC publiziert. Über die Auswahl und Analyse der Inhalte seiner Blog-Beiträge entscheidet der renommierte Analyst selber.

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