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Publiziert am 30. September 2019 von unter: ,

Zwischenruf im Echoraum: Digitale (Ent-)Täuschung

Erschöpfung, Vereinsamung und moderne Sklaverei statt Verbundenheit, Autonomie und schöner neuer Arbeitswelt: Die Digitalisierung droht an den Menschen vorbeizugehen, einzig das Wachstum wird befeuert. Kann aus der Enttäuschung darüber ein neues Denken erwachsen, das notwendig wäre, um der Falle zu entrinnen?

Bild: © PilarFranco / Getty Images

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An dieser Stelle kommentiert Dr. Andreas Stiehler, der als freiberuflicher Analyst, Berater und Autor unter anderem für teknowlogy | PAC tätig ist, regelmäßig Web-Beiträge exklusiv für die Leser des QSC-Blogs. Im Fokus dieses Beitrags: „Die Digitalisierung entfremdet uns“, ein Interview von Birgit Stratmann (Ethik heute) mit dem freischaffenden Philosophen und Autor Dr. phil. Christoph Quarch sowie weitere digitalisierungskritische Texte, u.a. von Inka Kettels: „Digitalisierung und der freie Wille“ und Frank Schabel: „Agil und digital laufen auseinander“.

 

Am Digitalisierungs-Himmel ziehen bedrohliche Wolken auf

Als positiv denkender Mensch und in meiner Rolle als IT-Marktanalyst neige ich dazu, die Digitalisierung in ein positives Licht zu rücken. Der digitale Wandel – so argumentiere ich oft und gern – zwingt die Unternehmen schließlich dazu, die Menschen wieder stärker in den Fokus zu rücken. Nicht umsonst diskutieren wir heute intensiv über die zunehmende Bedeutung der Customer und Employee Experience als Maßstab in der digitalen Wirtschaft. Das Schreckgespenst vom „Ende der Arbeit“, welches von Zeit zu Zeit durch die Digitalisierungsdebatten geistert, erweist sich dagegen bei genauerer Betrachtung (wie hier diskutiert) als ein Mythos.

Grund genug also, alle Bedenken ad acta zu legen, die grenzenlose Digitalisierung zu feiern und die Bedenkenträger in die Schmuddelecke zu stellen? Eher nicht! Zwar werden wir Menschen aller Voraussicht nach nicht von heute auf morgen durch Algorithmen ersetzt, scheinen jedoch auf dem besten Weg zu sein, uns als willenlose Konsumenten und Selbstausbeuter in deren Dienst zu stellen. Das Perfide daran: Wir tun dies auch noch freiwillig.

 

Die „Social Governance“ der Digitalkonzerne untergräbt den freien Willen – und steht sozialer Innovation diametral entgegen

Zwei aktuelle, mich nachdenklich stimmende Beiträge, verdeutlichen dies. Der erste stammt von Philosophin Inga Ketels, über deren kritische Sicht auf New Work als potenzieller Hebel zur „Selbstausbeutung“ ich bereits in einem früheren Zwischenruf berichtete. In ihrem aktuellen Text „Digitalisierung und freier Wille“ diskutiert sie die Frage, inwiefern die Digitalisierung dazu missbraucht wird, am Paradigma des grenzenlosen Wachstums festzuhalten? Inwiefern dient sie Kontrollzwecken? Wo bleibt der freie Wille in der Corporate Society?

Ob aus Bequemlichkeit oder im naiven Glauben an die Technologie, so argumentiert sie, liefern wir unseren freien Willen zunehmend den von den Digitalkonzernen implementierten Algorithmen aus. Diese bieten auf den ersten Blick effektive Lösungen für soziale Herausforderungen. Ob Schlafstörungen, Fettleibigkeit oder Klimawandel – für alles gibt es heute eine App. Wir liefern die Daten, die Algorithmen im Gegenzug punktgenaue Analysen und individualistische Antworten für eigentlich komplexe Probleme.

Eine solche „Social Governance“ stehe aber der sozialen Innovation geradezu diametral entgegen. Schließlich ist den Digitalkonzernen nicht daran gelegen, die Konsumgesellschaft zu hinterfragen. Im Gegenteil: Sie lassen kein Mittel ungenutzt, um das Wachstum weiter anzukurbeln. Ausgehend von den Ergebnissen der digitalen Analysen können schließlich neue Pillen, Diäten, Fitness- und Achtsamkeitskurse punktgenau an die Frau oder den Mann gebracht werden. Gesellschaftliche Missstände oder gar Fehlentwicklungen in der Nahrungsmittel- oder Informationswirtschaft als potenzielle Ursachen für Fettleibigkeit und Schlafprobleme werden dagegen nicht hinterfragt.

Und während sich das Hamsterrad bei der Symptombekämpfung (ohne echte Problemlösung) immer schneller dreht, vereinsamen die Menschen und nimmt deren Abhängigkeit von den Algorithmen immer weiter zu. Freier Wille? Fehlanzeige! Die Verbesserung der Kundenerfahrung (Customer Experience) erscheint aus dieser Perspektive nur vorgegaukelt. Und von den einstigen Utopien zu Beginn des Internetzeitalters – eine Gesellschaft, die sich durch ein hohes Maß an Verbundenheit, Gemeinschaft, Autonomie und Freiheit auszeichnet – scheinen wir heute mehr denn je entfernt.

 

Moderne (Selbst-)Versklavung anstatt schöner neuer Arbeitswelt

Und was bleibt von der vieldiskutierten schönen neuen Arbeitswelt? Der Blogautor Frank Schabel stellte in einem aktuellen Beitrag die These auf, dass Digitalisierung und Agilität bzw. die mit dem Agilitätstrend einhergehenden Versprechen (Selbstorganisation, Autonomie, Freiheit etc.) nicht, wie oft suggeriert, zwei Seiten einer Medaille darstellen. Sie würden im Gegenteil sogar immer weiter auseinanderlaufen. Als Beleg hierfür liefert er drei konkrete Beispiele, bei denen jeweils die Menschen sklavenähnlich von der „Blackbox“ überwacht und zu noch höherer Leistung angetrieben werden. Der von vielen Agilitätsevangelisten bereits totgesagte Taylorismus erblüht dank Digitalisierung regelrecht zu ungeahnter Größe.

Inga Ketels verweist in diesem Zusammenhang weiter auf die zunehmende Anzahl der Gigworker, Cloudworker und Crowdworker in den USA, die ohne Tariflohn, Arbeits- oder Gesundheitsrecht für die Plattformen tätig sind. In Deutschland würden sich die Gewerkschaften bislang gegen diesen Trend wehren – wobei fraglich erscheint, wie lange sie ihren Widerstand angesichts des harschen internationalen Wettbewerbs aufrechterhalten können.

Die Digitalisierung, so dämmert mir bei der Lektüre der Beiträge von Inga Ketels und Frank Schabel, mündet unter den heutigen Bedingungen in einen Turbokapitalismus, bei dem alles dem Wachstumsparadigma untergeordnet wird. Das ist geradezu die Pervertierung dessen, was die Utopisten der Internetgesellschaft im Sinn hatten. Erschöpfte anstatt freier und autonomer Menschen, moderne Sklaverei anstatt schöner neuer Arbeitswelt.

 

Die Geisteswissenschaftler schauten lange zu, melden sich jetzt aber verstärkt zu Wort

Im ersten Reflex mag man diese Kritiken als typische Larmoyanz von Technologieskeptikern abtun. Doch auch (ehemalige) Vertreter der Digitalwirtschaft, wie der bekannte Autor und Redner Günter Dueck, der als Chief Technologist bei IBM die Entwicklung quasi aus dem Zentrum heraus verfolgte, bestätigen den Befund. Sein Kommentar unter der Ankündigung von Inga Ketels Beitrag bei LinkedIn spricht für sich: „Das Paradigma freut sich, durch Digitalisierung NOCH MEHR herauszuholen und sich weiter daran zu mästen. Es geht nicht so sehr um Kontrolle, sondern um Totalauslastung bis zur grenzüberschreitenden Überlastung. Das geht mit IT richtig gut.“

Gunter Dueck sieht bei diesem Thema auch und insbesondere die Geisteswissenschaftler, die über viele Jahre die Wirkung der Digitalisierung unterschätzten, in der Verantwortung: „Es wird schon lange gewarnt, aber die Geisteswissenschaftler befassen sich so wenig mit IT, dass sie erst diskutieren, wenn schon alles beschlossen ist. Es beschließen immer die, die dabei sind. Daher, finde ich, sollten die Geisteswissenschaftler nicht so lange so netzphob gewesen sein. Es gab einmal den freien Willen. Jetzt, wo schon Beschlüsse fielen, nicht mehr so viel.“

 

Der „homo digitalis“ entsteht, wenn sich „homo faber“ und „homo oeconomicus“ paaren

Immerhin, die Diskussion um die Auswirkungen der Digitalisierung scheint mittlerweile entfacht. So hat etwa der Universalhistoriker Yuval Noah Harari mit seinem Bestseller „Homo Deus“ viele Menschen aufgerüttelt. Und auch hierzulande melden sich mehr und mehr Geisteswissenschaftler zu Wort. Fraglich bleibt, ob sie mit aufklärerischen Texten die Entwicklung aufhalten bzw. auf die von Gunter Dueck angeführten Beschlüsse (noch oder überhaupt) Einfluss nehmen können.

An dieser Stelle verweise ich gerne auf ein lesenswertes Interview mit dem Philosophen Dr. phil. Christoph Quarch aus dem Jahre 2017. Dessen Resümee nach eingehender Beschäftigung mit KI, Big Data und Biotech fällt ähnlich ernüchternd aus wie jene von Inga Ketels und Frank Schabel: „Die Digitalisierung beraubt uns unserer Menschlichkeit. Sie nimmt uns die Freiheit, unserem Leben Tiefe zu verleihen und echte Begegnungen zu erleben, sie raubt unsere Lebendigkeit und entfremdet uns von unserer Sterblichkeit und Verwundbarkeit. […] Man redet uns ein, wir könnten in den digitalen Welten kreativ sein und unsere Potenziale entfalten. In Wahrheit bewegen wir uns in vorformatierten Zusammenhängen, die uns letztlich unsere Freiheit rauben.“

Ursächlich dafür, dass wir den Verheißungen der Digitalisierung nachgeben, sei unser maßloses Streben, uns die Welt zu Nutze zu machen, sie zu beherrschen: Der „homo digitalis“ sei schließlich „das, was dabei herauskommt, wenn sich der „homo faber“ (der Mensch, der seinen Lebensinhalt darin sieht, immer mehr und immer Neues zu schaffen) mit dem „homo oeconomicus“ (dem Menschen, der seinen Lebensinhalt darin sieht, sich auf dem Markt zu behaupten und maximalen Profit zu machen) paart.“

 

„Nicht wir haben die Technik, sondern die Technik hat uns“

So sei Digitalisierung auch kein gänzlich neuer Trend, sondern nur die Fortsetzung bzw. eine Konsequenz der im 16. Jahrhundert einsetzenden Industrialisierung, einschließlich des damit verbundenen Leitbildes vom „homo oeconomicus“. „Mit Hilfe der digitalen Technik will der ‚homo oeconomicus‘ seinen Traum vom grenzenlosen Wachstum verwirklichen. Die digitale Welt erlaubt ihm, über alle Grenzen zu wirtschaften. Damit aber werden vor allem die Grenzen des Menschlichen überschritten.“

Dabei sei es ein Irrglaube, dass wir frei und autonom über den Technologieeinsatz entscheiden könnten. Vielmehr richteten wir unser Sozialverhalten, ja sogar unser Bewusstsein und Denken nach der Technik aus. In der Konsequenz würden wir uns mehr und mehr und nach Maßgabe der Maschinen verhalten und damit unsere Menschlichkeit verlieren. Quarch verweist in diesem Zusammenhang auf das bekannte Heidegger-Zitat „Nicht wir haben die Technik, sondern die Technik hat uns“ – und untermauert diesen Gedanken anhand eines Beispiels aus der Geschichte: „Als im 18. Jahrhundert mechanische Maschinen entwickelt wurden, begann der Mensch, sich erst nach Maßgabe eines Uhrwerks zu deuten und dann dementsprechend zu verhalten.“

 

Das digitale Hamsterrad lässt sich nicht aufhalten oder mit Ethik-Programmen steuern

Aber lässt sich diese Entwicklung aufhalten oder besser noch umkehren? Quarch widerspricht: „Der Glaube, wir könnten jetzt wieder durch eigene Kraft, Anstrengung und Innovation das Ruder herumreißen, wurzelt genau in dem Denken, das diese digitale Revolution erst hervorgebracht hat. […] Tatsächlich wird kein Einzelner, keine Politik, keine Ökonomie, die nach den herkömmlichen Prinzipien ausgerichtet sind, diese Dynamik stoppen können. Das ist in einem tieferen Sinne des Wortes unser Schicksal.“

Im gleichen Zuge hält er auch die Idee, man könne in Algorithmen Ethik-Programme implementieren, für absurd. „Das geht gegen die Grundidee der Ethik. Sie lässt sich nicht in Algorithmen abbilden. Ethik ist nur dort sinnvoll, wo man die Freiheit hat, sich so oder so zu verhalten. Und darin liegt die Würde des Menschen, dass er frei ist zu handeln, dass er jederzeit etwas anderes tun könnte. Ethik beruht auf der Freiheit.“

 

Ein neues Denken ist gefragt, eine Akzeptanz des Unverfügbaren

Was also tun? Der Philosoph Quarch verweist bzw. hofft auf eine „spirituelle Revolution“, einen „Megashift“, wie der Übergang vom mythischen zum rationalen Denken. Ein solcher Umbruch würde mit einer ganz anderen Art zu leben, zu sprechen und zu denken einhergehen. Allerdings, so betont Quarch, lässt sich ein solcher Wandel nicht bewusst herbeiführen: „Alles, was wir tun können, ist, dass wir empfänglich bleiben, offen und auf das hören, was die Welt uns mitzuteilen hat. Wir können Wegbereiter des Neuen werden, wenn wir mit der Welt und den Menschen im Gespräch bleiben. So zu denken ist der erste Schritt, denn dann hören wir endlich auf zu glauben, dass wir alles machen und organisieren könnten.“

Quarchs Analyse erinnert mich in vielerlei Hinsicht an die Arbeiten des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa, der in seinem Werk „Beschleunigung“ zunächst den Widersprüchen des Wachstumsparadigmas auf den Grund ging und als Antwort darauf ein weiteres Werk „Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung“ zur Diskussion stellte. (Auf Rosas Arbeit zu Resonanz hatte ich mich bereits in mehreren Beiträgen, zum Beispiel hier und hier bezogen.) Tatsächlich fußt die Resonanz im Sinne einer gelingenden Weltbeziehung darauf, dass wir mit der Welt und den Menschen im Gespräch bleiben. Sie lässt sich auch „nicht machen oder organisieren“, Resonanz ist nicht verfügbar.

In seinem neuen Buch „Unverfügbarkeit“ (hier eine Hörprobe) geht der Soziologe unserem Drang nach Erreichbarkeit der Welt, in deren Folge diese immer weiter verstummt, eben weil Unverfügbarkeit für Resonanz konstitutiv ist, noch weiter auf den Grund. Dabei skizziert er auch das Hamsterrad, in dem sich die Menschen der digitalisierten Gesellschaft befinden und mit dem das Wachstumsparadigma genährt wird (S. 121): „Weil das Verfügen über die erworbenen Objekte das (unausgesprochene) Resonanzversprechen aber nicht einlösen kann, gelingt der Zaubertrick des Kapitalismus, dass wir Konsumenten zwar von den erworbenen Objekten stets aufs Neue enttäuscht sind, aber nicht so, dass wir damit aufhören Objekte zu begehren und zu erwerben, sondern nur so, dass wir unersättlich in einer endlosen Steigerungsspirale aus Enttäuschung und Hoffnung immer neue, immer andere Objekte begehren (ohne in ihnen jemals zu finden, was wir suchen).“

 

Aufklärung kann dazu beitragen, der Menschenfalle zu entkommen – war aber bislang wirkungslos

Was also können wir tun? Im Eingangstext zu Rosas neuem Werk heißt es: „Lebendigkeit entsteht nur aus der Akzeptanz des Unverfügbaren“. Aber können wir lernen, Unverfügbarkeit als Basis für gelingende Weltbeziehungen zu akzeptieren – und damit der Spirale zu entkommen? Gibt es Grund zum Optimismus?

Ich meine schon: Zunächst tragen digitalisierungskritische Texte wie die von Ketels, Schabel, Rosa, Quarch, Harari und vielen weiteren klugen Köpfen zur Aufklärung bei. Die vom Zukunftsinstitut prophezeite Trendumkehr hin zu einer „Digitalisierung 2.0“ („Die Rückkehr des Analogen“) ebenso wie die von Tim Leberecht prophezeite „Renaissance der Romantik“ dürften sich zum Teil aus einer solchen Enttäuschung (im wahrsten Sinne des Wortes) speisen. Mehr noch: Das zunehmende Wissen um unsere menschlichen Unzulänglichkeiten, zu dem unter anderem die aufstrebende Verhaltensökonomie beiträgt, kann dabei helfen, den Menschheitsfallen (der Moderne) zu entkommen. Lesen Sie hierzu einen optimistisch stimmenden Kommentar von Christian Stöcker (Spiegel Online).

Allerdings sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass die Kritik am Wachstumsparadigma bzw. der Verfügbarmachung der Welt und der damit einhergehenden Preisgabe der Lebendigkeit nicht gänzlich neu ist. Das Thema wurde (wie bei Rosa nachzulesen) auch schon in der Frühzeit der Industrialisierung von zahlreichen klugen Köpfen, darunter Marx, Weber oder Simmel, aufgegriffen. Doch keiner dieser Denker vermochte das Hamsterrad aufzuhalten bzw. das Wachstumsparadigma zu brechen.

 

Die zunehmende Komplexität kann das Blatt wenden – zum Schlechten wie zum Guten

Gegenwind kommt allerdings noch von einer ganz anderen Seite – nämlich aus dem System selbst heraus. So steigt mit der zunehmenden Verfügbarmachung der Welt, bei der die Digitalisierung als Dampfbeschleuniger dient, auch die Komplexität. Hartmut Rosa diskutiert diese Entwicklung im abschließenden Kapitel seines neuen Buchs unter der dystopisch anmutenden Überschrift „Die Rückkehr des Unverfügbaren als Monster“.

Der pessimistische Klang kommt nicht von ungefähr, geht doch die zunehmende Komplexität bei vielen Menschen mit einer immensen „Ohnmachtserfahrung“ und dem Gefühl des Kontrollverlustes einher. Unsere mühsam eroberte Welt scheint uns zu entgleiten und die Weltenlenker (Politiker, Manager etc.) die Lage nicht mehr im Griff zu haben. Dies entfacht Wut und eine Sehnsucht nach einfachen radikalen Lösungen, die aber den Kontrollverlust nur noch verstärken (Stichwort: Brexit).

Ich teile Rosas Sorgen, sehe in dieser Entwicklung aber auch Chancen. Denn um in dem zunehmend komplexen Umfeld zu bestehen, sind die handelnden Akteure gefordert, sich ein Stück vom „machen und organisieren wollen“ zu verabschieden sowie ein neues Denken zu fördern. Mit der herkömmlichen zentralistischen Planung und Steuerung lassen sich eben keine komplexen Probleme lösen. Um in dem sich verändernden Umfeld zu bestehen, benötigen die Unternehmen zunehmend agile Strukturen – und dabei auch und insbesondere Menschen, die sich in der Organisation aufgehoben fühlen und in Resonanz miteinander verbunden sind. Resonanz ist zwar nicht verfügbar, was zu akzeptieren ist. Aber man kann und sollte als Unternehmen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich Resonanz überhaupt einstellen kann.

Der Samen für einen „Megashift“, wie Quarch ihn sich erhofft, scheint also schon gelegt bzw. der Boden hierfür bereitet. Ob und in welche Richtung(en) sich die digitalisierte Gesellschaft schlussendlich bewegt, ob das Hamsterrad und die damit einhergehende Wut obsiegen oder letztendlich doch ein neues Denken die Oberhand gewinnt, bleibt abzuwarten. Zur Akzeptanz der Unverfügbarkeit gehört eben auch, mit dieser Unsicherheit zu leben und Mehrdeutigkeiten zu akzeptieren – sowie trotz besorgniserregender Entwicklungen (oder gerade deswegen) den Menschen und der Welt zugewandt zu bleiben.

 

Anmerkung: Dr. Andreas Stiehler hat bisher regelmäßig für das QSC-Themenblog „Digitales Wirtschaftswunder“ geschrieben. Wir freuen uns, dass er jetzt auch im Corporate Blog von QSC publiziert. Über die Auswahl und Analyse der Inhalte seiner Blog-Beiträge entscheidet der renommierte Analyst selber.

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