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Publiziert am 15. Oktober 2018 von unter: ,

Zwischenruf im Echoraum: Steigern Boni die Produktivität?!

Boss giving money premium to happy employee. Bild: © istock.com / fizkes

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Ein Wissenschaftler fungiert als Scharfrichter in der New-Work-Debatte – ein fragwürdiges Vorhaben, das in der Behauptung gipfelt, der Produktivitätseffekt von Boni sei metaanalytisch abgesichert. Eine Replik.

An dieser Stelle kommentiert Dr. Andreas Stiehler, der als freiberuflicher Analyst, Kolumnist und Berater u.a. für PAC tätig ist, regelmäßig Web-Beiträge exklusiv für die Leser von Digitales-Wirtschaftswunder.de. Dieses Mal: „Sechs New-Work-Thesen im Härtetest“ – ein Beitrag von Prof. Dr. Heiko Weckmüller für das „Personalmagazin“ (Haufe).

 

Mit „New Work im Härtetest“ zum „evidenzbasierten“ HR-Management!?

Bild: © istock.com/jacoblund

Der Titel der Publikation – „New-Work-Thesen im Härtetest“ – klingt vielversprechend. Man fragt sich: Was bleibt übrig von all den Verheißungen der schönen neuen Arbeitswelt, wenn man sie mit der scharfen Klinge der Wissenschaft seziert? Auch die Kommentare unter der Ankündigung des Artikels bei LinkedIn lassen Bahnbrechendes erwarten: „Top-Analyse […] trifft exakt den Kern der New-Work-Debatte“ oder „Ein toller Artikel, der hoffentlich von vielen Personalern und New-Work-Apologeten gelesen wird. Es spricht eben sehr viel für ein evidenzbasiertes Personalmanagement.“

„Evidenzbasiertes Personalmanagement“?! Auch das klingt auf den ersten Blick vielversprechend: Wir setzen nur das um, was empirisch wirklich belegt ist. Allerdings habe ich keine Idee, wie ein evidenzbasiertes Personalmanagement in der Praxis gelingen kann. Die empirische Forschung, so argumentierte ich bereits in meinem Kommentar zur Diskussion um die Großraumbüros, ist in der Rolle des Scharfrichters in der aufgeheizten New-Work-Debatte angesichts der diesem Thema anhaftenden Komplexität schlicht überfordert.

Aber vielleicht würde mich der vorliegende Beitrag eines Besseren belehren. Immerhin ist der „Scharfrichter“ diesmal kein geringerer als Prof. Dr. Heiko Weckmüller, Professor für HR Management am Rhein-Ahr-Campus der Hochschule Koblenz. Anhand der Ergebnisse empirischer Studien diskutiert er die Gültigkeit von sechs Thesen, die das Personalmagazin der New-Work-Diskussion zuordnet (seine abschließende Bewertung in Klammern):

  1. Mitarbeiter wollen selbstbestimmt arbeiten. („korrekt“)
  2. Autoritäre Führung führt zu Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern. („tendenziell korrekt“)
  3. Mitarbeiter lassen sich durch Boni nicht motivieren. („falsch“)
  4. Transparente Gehälter führen zu mehr Zufriedenheit. („tendenziell falsch“)
  5. Das Arbeiten wird mobil und ortsunabhängig. („falsch“)
  6. Diversity macht Unternehmen erfolgreicher. („lediglich tendenziell richtig“)

 

Was nun? Härtetest weichgespült

Bild: © istock.com/pixelfit

Der Unternehmer und Social-Collaboration-Vordenker Siegfried Lautenbacher teilte diesen Beitrag mit dem schlichten Kommentar: „Und nun?“ Ja! Und nun? Was lässt sich aus der Bewertung dieser Thesen im Hinblick auf ein „evidenzbasiertes HR-Management“ schließen? Selbstbestimmung unbedingt fördern, Boni-Systeme unangetastet lassen, Smartphones und Home-Office-Mitarbeiter wieder einsammeln? Und wie hart ist der „Härtetest“ tatsächlich?

Klar, viele Mitarbeiter wünschen sich ein hohes Maß an Selbstbestimmung bei der Arbeit – mich eingeschlossen. An der Qualität der von Prof. Weckmüller zum Beleg dieser These angeführten Meta-Studie, die eine insgesamt positive Korrelation zwischen Selbstbestimmung und Arbeitszufriedenheit feststellt, habe ich keine Zweifel. Aber trifft die These „Mitarbeiter möchten selbstbestimmt arbeiten“ pauschal für alle Situationen und alle Mitarbeiter zu?

Wenn dies alles so klar wäre, wie die von Prof. Weckmüller als „korrekt“ bewertete These suggeriert, dann müssten wir nicht mehr über Widerstände gegen Transformation diskutieren, wie dies zuletzt Dr. Andreas Zeuch (als ausgemachter Fürsprecher für selbstbestimmtes Arbeiten) tat. Und wenn der Befund so eindeutig wäre, gäbe es keinen Grund, uns mit den Joberwartungen der neuen „Generation Angst“ auseinanderzusetzen – den Erwartungen junger Studenten, die sich laut einer aktuellen Studie vor allem sichere Jobs, gute Karrieremöglichkeiten und eine ausgeglichene Work-Life-Balance wünschen. Warum diese Diskussion in der Bewertung der These unberücksichtigt bleibt, ist mir wiederum unklar.

Ich frage mich auch, warum Prof. Weckmüller die These „Das Arbeiten wird mobil und ortsunabhängig“ abschließend als falsch beurteilt. Die Unternehmen hierzulande, so argumentiert er anhand ausgewählter Studien, tun sich mit der Akzeptanz von Home-Office-Arbeitsplätzen (entgegen dem EU-Trend) immer noch schwer, obwohl triftige Gründe (dazu gehört auch der Wunsch vieler Mitarbeiter) für eine Ausweitung der mobilen Arbeit sprechen würden. Das mag durchaus sein – einen Widerspruch zur Eingangsthese kann ich in dieser Argumentation jedoch nicht erkennen. Vielmehr glaube ich, dass die Unternehmen ihre Zurückhaltung bei diesem Thema nicht mehr lange aufrecht erhalten können. Zukunftsweisende Thesen – so wird an dieser Stelle deutlich – lassen sich eben nicht mit dem der empirischen Forschung immanenten Blick auf die Vergangenheit bewerten.

 

Boni motivieren! Aber wozu?

Regelrecht geärgert habe ich mich schließlich über Prof. Weckmüllers Einlassungen zu den Produktivitätseffekten von Boni. Schon die vom Personalmagazin vorgegebene Ausgangsthese „Mitarbeiter lassen sich durch Boni nicht motivieren“ scheint mir zu banal. Welcher halbwegs vernünftige New-Work-Apologet behauptet dies noch heute?! Dass Boni ein Verhalten motivieren, halte ich (auch ohne „Härtetest“) für unbestritten. Die Frage ist vielmehr, ob die über Boni generierte Motivation der Wertschöpfung bzw. Produktivität dienlich ist.

Prof. Weckmüller geht in seinen Erläuterungen zwar auf diese Frage ein, offenbart dabei jedoch ein sehr einseitiges und tradiertes Verständnis. Es gipfelt in der abenteuerlichen und an keiner Stelle belegten Behauptung: „Der Produktivitätseffekt von Bonuszahlungen ist metaanalytisch abgesichert“. Zweifelsohne gibt es einige Studien, die einen produktivitätsfördernden Effekt performance-orientierter Vergütung in bestimmten Szenarien klar belegen. Dabei richten sie ihr Augenmerk zumeist auf die Produktivität bei einfachen mechanischen Tätigkeiten. Aus diesen Ergebnissen lässt sich aber keine „metaanalytische Absicherung des Produktivitätseffekts“ ableiten.

Wir leben schließlich nicht mehr in einer Industriegesellschaft, in der das Gros der Tätigkeiten über Prozesse beschreibbar und Mitarbeiter austauschbar waren. Der Anteil der Wissens- und Kreativarbeit ist in den letzten Jahren, auch forciert durch die Digitalisierung, deutlich gestiegen – einhergehend mit einer Zunahme der Komplexität. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die Gestaltung der Boni-Systeme mit Blick auf die Produktivität neu zu hinterfragen. Tatsächlich belegen zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, dass – sobald die Herausforderungen komplizierter werden – die Bonuszahlungen der Produktivität entgegenstehen können.

 

Das Motivationsparadox – wissenschaftlich belegt, aber immer noch allzu oft ignoriert

Als Einstieg in die Paradoxien der Motivationsforschung empfehle ich den legendären Ted Talk von Dan Pink:
 

 
In seinem Vortrag bezieht sich der Karriereberater unter anderem auf eine experimentelle Studie, die von anerkannten Wirtschaftsforschern durchgeführt, von der Federal Reserve Bank of Boston gefördert und 2009 im Review of Economic Studies veröffentlicht wurde. Also kein Hokuspokus, sondern ernstzunehmende Forschung. Die Ergebnisse der Studie zeigen sehr eindrucksvoll (hier zum besseren Verständnis noch ein grafisch illustriertes Video), dass die „Motivation“ durch Boni bei komplizierten oder gar komplexen Problemstellungen letztlich sogar zu einer niedrigeren Performance führen kann.
 


 
Mehr als 20 Millionen Mal wurde der Vortrag von Dan Pink mittlerweile angeklickt, aber am Motivationsexperten Prof. Weckmüller scheint diese Diskussion vorübergegangen zu sein. Stattdessen führt er die jahrzehntealten Abwehrgefechte der orthodoxen (neoklassischen) Ökonomen in seinem Beitrag weiter. Die Gefahr von „Crowding-out“-Effekten, also einer Verdrängung intrinsischer Motivation durch externe Anreize (die häufig mit mehr Kontrolle einhergehen), werden von ihm als Psychologengedöns abgeschmettert. Die Erkenntnisse hierzu stammten ja „überwiegend aus nichtökonomischen Zusammenhängen und sind nicht einfach auf reale Beschäftigungsverhältnisse übertragbar beziehungsweise lassen sich in der betrieblichen Realität leicht vermeiden.“

Interessanterweise gibt es aber genau zu diesem Thema eine Metastudie, die federführend von dem renommierten Schweizer Ökonomen Bruno Frei erstellt wurde. Und die kommt zu einer gegensätzlichen Schlussfolgerung: „This survey shows that strong empirical evidence indeed exists for crowding-out and crowding-in. This conclusion is based on circumstantial evidence, laboratory evidence by both psychologists and economists, as well as field evidence by econometric studies.”Kurzum: Crowding-out-Effekte bei Bonuszahlungen sind metaanalytisch abgesichert!

Man mag Prof. Weckmüller zu Gute halten, dass die Verhaltensökonomie (Behavioural Economics), die auf solchen Erkenntnissen aufbaut, noch eine vergleichsweise junge Disziplin innerhalb der Wirtschaftswissenschaften ist – und sie es deshalb noch nicht in jedes Standard-BWL-Lehrbuch geschafft hat. Dennoch dürfte es sich für Wissenschaftler und Praktiker lohnen, sich mit deren Erkenntnissen auseinanderzusetzen. Spätestens nachdem im vergangenen Jahr mit Richard Thaler ein Verhaltensökonom mit dem Wirtschaftsnobelpreis geehrt wurde, sollten die orthodoxen Ökonomen ihre Abwehrreflexe besser unter Kontrolle halten.

 

Die Feinsteuerung über Boni ist in einem komplexen Umfeld eine Illusion!

Bild: © istock.com / SARINYAPINNGAM

Hinzu kommt, dass das in tradierten BWL-Lehrbüchern vermittelte Wissen zur Steuerung von Mitarbeitern nur noch bedingt bei der Lösung praktischer Probleme weiterhilft. Warum wohl fordert die Mehrheit der Mitarbeiter und Führungskräfte heute eine Flexibilisierung der Anreizsysteme (siehe u.a. die Hays-Wissensarbeiterstudie 2017 und Ambidextrie-Studie 2018)? Meine Vermutung: Der Versuch einer Feinsteuerung von Mitarbeitern über Boni erweist sich in dem zunehmend komplexen Umfeld immer häufiger als Illusion.

Denn um als Unternehmen in der so genannten VUCA-Welt zu bestehen und eine hohe Effizienz zu gewährleisten, sind die Mitarbeiter gefordert, Silodenken zu überwinden sowie flexibel und eigenverantwortlich auf die immer schnelleren Änderungen des Marktumfelds zu reagieren. Wer als Unternehmen vor diesem Hintergrund an klassischen Boni-Systemen als Steuerinstrument festhält, riskiert eine Fehlsteuerung. Denn beim Blick auf die Boni gerät das Große und Ganze allzu leicht aus dem Blickfeld. Die Bonuszahlungen motivieren schließlich dazu, die Scheuklappen aufzusetzen – und weiter auf Teufel komm raus zu produzieren oder zu vertreiben, anstatt sich auf das geänderte Marktumfeld einzustellen.

Der Versuch wiederum, sämtliche Unwägbarkeiten des Geschäfts in den Boni zu berücksichtigen, mündet in immer komplexere Steuerungssysteme, die kein Mitarbeiter mehr versteht und letztlich nur Businesstheater und Frustration erzeugen. Das Anreizsystem wird so zu einer Wissenschaft an sich – basierend auf einem Menschenbild, das noch aus dem letzten Jahrhundert herrührt.

Die Folgen von Fehlsteuerungen, die aus solchen Steuerungsillusionen entstehen, tragen schlussendlich nicht nur die Unternehmen. Laut der Hays-Wissensarbeiter-Studie 2017 verzichten ca. 20% der hochqualifizierten Mitarbeiter regelmäßig oder von Zeit zu Zeit bewusst auf Bonuszahlungen, um in ihrer Rolle den geänderten Marktanforderungen besser gerecht zu werden – also um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen trotz verfehlter Anreizsysteme zu sichern.

Für diese Mitarbeiter muss es wie Hohn klingen, wenn der HR-Experte Prof. Weckmüller schreibt: „Der hochgradig intrinsisch motivierte und autonom arbeitende Mitarbeiter, der durch Bonuszahlungen und die damit einhergehende kleinteilige Überwachung durch Vorgesetzte korrumpiert wird, ist ein Zerrbild realer Beschäftigungsverhältnisse.“

Sicher werden die Mitarbeiter nicht allein nur durch die kleinteilige Überwachung, sondern insbesondere durch die fehlgeleitete Steuerung im Rahmen der Boni-Systeme korrumpiert. Dass Prof. Weckmüller die Risiken einer Fehlsteuerung in einem Beitrag zur New-Work-Boni-Diskussion jedoch überhaupt nicht benennt, bleibt für mich unverständlich.

 

Credo

Zurück zur Ausgangsfrage: Was nun? Die Erkenntnisse aus der Wissenschaft, auf die Prof. Weckmüller verweist, geben sicher Anlass, die eine oder andere Pauschalaussage in der New-Work-Diskussion zu hinterfragen. Die Diskussion aber, wie sie in diesem Beitrag geführt wird, geht letztlich an den wirklichen Herausforderungen vorbei. Ich bleibe dabei: Die empirische Forschung ist in der Rolle des Scharfrichters hinsichtlich konkreter Fragestellungen in der New-Work-Debatte überfordert. Dazu ist das Thema viel zu vielschichtig und kontext-spezifisch.

Und was ist mit dem „evidenzbasierten Personalmanagement“? Sinnvoll wäre es, wenn die HR-Verantwortlichen zunächst im eigenen Unternehmen nach Evidenz für das Pro und Kontra aktueller Maßnahmen zur Steuerung und Verbesserung des Arbeitsumfelds suchten – und in diesem Zuge auch die Boni-Systeme bzw. deren Ausrichtung zu hinterfragen. Die Ergebnisse empirischer Studien können hierbei wichtige Hinweise liefern, sollten dabei jedoch immer mit Blick auf den konkreten Kontext interpretiert werden.

Und schließlich lohnt es sich, bei der Bewertung von Steuersystemen die angegrauten BWL-Lehrbücher einmal beiseitezulegen und sich stattdessen des gesunden Menschenverstandes zu bedienen. Hierzu empfehle ich einen Beitrag von Mark Poppenborg, in dem er kurz und knackig sieben triftige Gründe ins Feld führt, die „gegen den Bonus“ bzw. für eine Neuausrichtung von Steuerung und Führung sprechen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Digitales-Wirtschaftswunder.de, dem Themenblog der QSC AG

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