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Publiziert am 4. Februar 2019 von unter: ,

Zwischenruf im Echoraum: Rückkehr des Analogen?!

Digitalisierung darf nicht bedeuten, dass weniger differenziert und bewusst gemanagt wird. Bild: © istock.com / Stadtratte

Der Zukunftsforscher Matthias Horx prophezeit uns eine „Rückkehr des Analogen“ – oder besser gesagt: eine Digitalisierung 2.0, in der herkömmliche Kommunikationsregeln wieder stärker greifen. In Fachdiskussionen zu „Digital Workplace“ und „New Work“ lässt sich eine solche Trendumkehr in Ansätzen bereits beobachten. Dagegen wird die öffentliche Debatte immer noch von der Macht der Algorithmen bestimmt. Die Verantwortlichen in den Unternehmen sollten sich für den Wandel rüsten und ihre Content-Marketing-Strategien überdenken.

An dieser Stelle kommentiert Dr. Andreas Stiehler, der als freiberuflicher Analyst, Kolumnist und Berater unter anderem für PAC tätig ist, regelmäßig Web-Beiträge exklusiv für die Leser des QSC Blog. Im Fokus dieses Beitrags: „Die Rückkehr des Analogen“ , Anette Riedel von Deutschlandfunk Kultur im Gespräch mit dem Zukunftsforscher Matthias Horx.

 

Digitale Evangelisten mutieren zu alternden Schlagersängern

Ende letzten Jahres besuchte ich die Kundenkonferenz eines IT-Dienstleisters – und war begeistert. Die Spanne der auf dem Podium präsentierten Referenzen reichte vom globalen Rollout einer Collaboration- bis hin zur erstmaligen Einführung einer Direct-Sales-Lösung. Verantwortliche aus Konzernen und Unternehmen des gehobenen Mittestands berichteten offen über die Herausforderungen, die mit der Implementierung von digitalen Technologien, der damit einhergehenden Anpassung der Prozesse und dem Ringen um die Akzeptanz der Mitarbeiter verbunden sind. Es folgte eine intensive Diskussion über passende Lösungsstrategien in einem zunehmend komplexen Umfeld.

Als angedachter Höhepunkt des Abends trat schließlich der CEO eines Start-ups, welches es mit 40 Mitarbeitern hierzulande zu einiger Bekanntheit gebracht hat, auf die Bühne. Der Kontrast zum vorherigen Programm hätte kaum größer sein können. Erst reihte der Sprecher eine digitale Plattitüde an die nächste – untermauert von dem wiederholten Hinweis darauf, dass er doch erst letzten Monat im „Valley“ unterwegs war. Im Hinblick auf die Gestaltung der Arbeitsplätze forderte er dann die freie und uneingeschränkte Nutzung aller verfügbaren Technologien und Dienste – koste es, was es wolle, und gerade so, als ob es die Datenskandale um Facebook & Co. nie gegeben hätte. Schlussendlich sparte er nicht mit Seitenhieben auf die deutsche Wirtschaft, die mit ihrer Schwerfälligkeit und ihren Bedenken ja ohnehin vor dem Abgrund stehe – natürlich immer vor dem Hintergrund dessen, was jetzt gerade „im Valley“ geschehe.

Vor einigen Jahren hätte das Publikum wahrscheinlich noch an den Lippen dieses vermeintlichen digitalen Avantgardisten geklebt und wäre angesichts der düsteren Prophezeiungen erzittert. Heute schafft es sein Vortrag nicht einmal mehr zu provozieren. Ja, schlimmer noch – man hatte fast Mitleid mit einem Keynote Speaker, der wie ein alternder Schlagersänger auf dem Weg ins Dschungelcamp wirkte.

 

„Die Rückkehr des Analogen“ meint ein „Ende der digitalen Naivität“

An diese Episode musste ich denken, als ich zwischen den Jahren in der Deutschlandfunk Kultur-Sendung „Tacheles“ ein Interview mit dem Zukunftsforscher Matthias Horx zum Thema „Die Rückkehr des Analogen“ hörte. Tatsächlich stellte sich der Titel im Laufe des Beitrags als irreführend heraus. Schließlich ging es Matthias Horx weniger um die Renaissance analoger Produkte (Schallplatten etc.), sondern vielmehr um die zunehmende Skepsis im Hinblick auf die „Durch-Digitalisierung“ unseres Lebens.

Der Digitalisierungstrend, so lernte ich aus dem Interview, verläuft nicht zwingend nur in eine Richtung. Die hierdurch ausgelösten Widersprüche werden im Zeitverlauf immer deutlicher spürbar und damit Brüche, die sogenannten Tipping Points, immer wahrscheinlicher. So sei auch der „Anti-Digitalisierungstrend“ bereits in vollem Gange. Das Ergebnis solcher Brüche sei aber keine Renaissance der vorherigen Verhältnisse, sondern eine neue Qualität. Im Hinblick auf das Thema der Sendung glaubt Matthias Horx: „Es wird eine Digitalisierung 2.0 kommen, indem die menschlichen Kommunikationssysteme wieder synchronisiert werden.“

Diese These kann ich nachvollziehen. Auch als Analyst geht man in der Regel davon aus, dass nach jedem Technologie-Hype eine Ernüchterung folgt, aus der eine neue, bessere Generation an Lösungen hervorgeht. Die Dialektiker würden an dieser Stelle mit These, Antithese und Synthese argumentieren.

 

Die „Ent-Naivisierung“ ist in Fachdiskussionen bereits im Gange

Tatsächlich scheint die Spitze des Digitalisierung-Hypes und der damit einhergehenden Naivität bei Themen wie „Digital Workplace“, „New Work“ oder „Agilität“ bereits erreicht und zum Teil auch schon überschritten zu sein. Entsprechend mehren sich die kritischen Stimmen. Gut so! Denn neue Technologien, Dienste und Methoden lassen sich nur dann erfolgreich zum Wohle von Kunden, Mitarbeitern und Gesellschaft implementieren, wenn die mit deren Einsatz verbundenen Herausforderungen erkannt, klar benannt und schließlich auch adressiert werden.

So dürfte nach und nach auch dem letzten digitalen Evangelisten klar sein, dass es für einen „Digital Workplace“ eben nicht ausreicht, nur alle möglichen digitalen Werkzeuge für die tägliche Arbeit bereitzustellen. Vielfalt ist wichtig, aber die Technologien müssen auch betrieben, administriert und abgesichert werden. „Managed Diversity“ heißt das Zauberwort, und diese lässt sich nicht ohne ein gewisses Maß an Harmonisierung, Standardisierung und Vereinfachung gewährleisten. Meine zu Beginn dieses Beitrags skizzierte Anekdote zeigt, dass die Unternehmenspraktiker in dieser Frage zum Teil schon weiter sind als die digitale Avantgarde.

Gleiches gilt für die New-Work-Debatte, die mittlerweile im Mainstream angekommen scheint – und dabei deutlich (selbst)kritischer geführt wird als noch vor einigen Jahren. Von der naiven Vorstellung, dass sich etablierte Unternehmen mittels Frischobstschalen, Tischkicker und Plüschsofas automatisch zum Besseren wandeln, ist die Diskussion ohnehin schon lange entfernt.

Kurzum: Die „Digitalisierung 2.0“, von der Matthias Horx im Interview spricht, zeigt schon erste Konturen.

 

Soziale Medien prägen und verzerren (weiter) die Debatte

Allerdings bezieht sich Matthias Horx im Interview nicht auf Fachdiskussionen zu „Digital Workplace“ oder „New Work“ – vielmehr diskutiert er die Auswirkungen des Digital Hypes auf die Gesellschaft. Digitale Technologien und hierbei insbesondere soziale Medien machen aus Sicht des Zukunftsforschers regelrecht krank, indem sie am laufenden Band Identitätsunsicherheiten produzieren, in deren Zuge die Menschen vereinsamen. Gleichzeitig verrohen die Debatten.

Im Hinblick auf diese Herausforderungen sind wir tatsächlich noch ein gutes Stück von der „Digitalisierung 2.0“ entfernt. Hierzu müssten wir uns zunächst eingestehen, in welchem Maße die sozialen Medien unser Denken und unsere Interaktion bereits beeinflussen. Im Interview vergleicht Matthias Horx die heutigen Debatten in den sozialen Medien mit Wirtshäusern, in denen man jedem Gast ein Megafon in die Hand gibt. Im Ergebnis entsteht Geschreie, in dem sich nur die Lautesten und Aggressivsten durchsetzen.

Das gleiche Bild passt heute auch zur Illustration der Content-Marketing-Strategien vieler Unternehmen. „Kürzer, schneller, polarisierender“ lautet die verbreitete Devise, um sich in der Flut an Inhalten vom Wettbewerb abzuheben und von den Suchalgorithmen erkannt zu werden. Auch ich bin in meinen Texten nicht gänzlich frei von dieser Denke, schließlich will ich als Schreiberling ja wahrgenommen werden.

Aber wohin führt dieser Trend, wo ist die Grenze, an welcher Stelle ist ein Bruch vorprogrammiert?! Schon heute werden vielfach Polemiken publiziert, wo eine Versachlichung angezeigt wäre, und komplizierte Inhalte auf wenige Spiegelstriche heruntergebrochen, obwohl mehr Differenzierung der Sache gut täte. Hauptsache, die Inhalte lassen sich bei Twitter & Co. gut replizieren und erzeugen dort Aufmerksamkeit.

 

Reflexe auf Robert Habecks Social-Media-Abstinenz illustrieren die „Empörokratie“

Vor diesem Hintergrund ist für mich auch Robert Habecks Entscheidung zur Twitter- und Facebook-Abstinenz nachvollziehbar. Unabhängig davon, ob Habecks Begründung wirklich glaubhaft ist: Die Diskussion im Anschluss an diese Entscheidung lieferte ein Paradebeispiel für die von Matthias Horx im Interview angeführte „Empörokratie“. Ein Politiker und noch dazu ein Buchautor – so das reflexhafte Echo auf allen Kanälen, egal welcher politischer Couleur – sollte doch in der Lage sein, sich zu kontrollieren. Und überhaupt könne man es sich als Politiker nicht leisten, den sozialen Medien fern zu bleiben.

Tatsächlich dauerte es zwei bis drei Tage, bis die ersten wirklich reflektierten Beiträge zu diesem Thema erschienen – wie z.B. hier in der Süddeutschen Zeitung. Bis dahin war kaum ein Wort darüber zu lesen, dass gerade Politiker und Buchautoren, die vom Applaus des Publikums leben und dabei auch von eigenen Eitelkeiten getrieben sind, in hohem Maß anfällig für die Verrohung der Debatte sind. Stattdessen schrieben die Journalisten die freiwillige Abstinenz eines Politikers von kommerziellen Plattformen schon fast zur Staatskrise hoch – und produzierten dabei kräftig neue Schlagzeilen, zum Wohle der Algorithmen.

 

Credo: Digitalisierung 2.0 braucht eine Debattenkultur 2.0

Ob man nun an die „Rückkehr des Analogen“, wie Zukunftsforscher Horx sie vorhersagt, glaubt oder nicht: Mehr Reflektion in Hinblick auf die Chancen und Risiken der digitalen Technologien ist dringend angezeigt. Bei Fachdiskussionen zu „Digital Workplace“ oder „New Work“ lässt sich bereits eine Umkehr beobachten. Gut wäre es, wenn diese auch in eine neue Debattenkultur sowohl in der Gesellschaft als auch in den Unternehmen mündet.

Unternehmen, die sich beim Content-Marketing von der großen Masse abheben möchten, sollten deshalb darüber nachdenken, wie sie mit ihren Inhalten am besten den Lesern und der Sache, und nicht zuerst den Algorithmen dienen. Dazu gehört aus meiner Sicht, sich mit eigenen Inhalten in laufende Debatten einzubringen und dabei auch auf Arbeiten Dritter zu referenzieren, anstatt am Fließband neue Buzzwords zu kreieren und so das Rad immer wieder neu zu erfinden. Wünschen würde ich mir zudem eine Portion „Demut“ bzw. die von Matthias Horx angeführte „radikale Ehrlichkeit“ im Hinblick auf die Chancen und Möglichkeiten neuer Technologien.

Denn die Menschen – so glaube ich – haben letztlich ein sehr gutes Gespür dafür, ob mit den publizierten Inhalten tatsächlich um die Lösung von Problemen gerungen oder nur ein neues Angebot suchmaschinengerecht beworben werden soll. Als Leser wüsste ich, wem ich meine Aufmerksamkeit und mein Vertrauen schenken würde.

Anmerkung: Dr. Andreas Stiehler hat bisher regelmäßig für das QSC-Themenblog „Digitales Wirtschaftswunder“ geschrieben. Wir freuen uns, dass er jetzt auch im Corporate Blog von QSC publiziert. Über die Auswahl und Analyse der Inhalte seiner Blog-Beiträge entscheidet der renommierte Analyst selber.

 

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